Rudolf Steiner zur „Philosophie der Freiheit“ und den Hühnern

 

Aus Nr. 146, S. 34 der Rudolf Steiner Gesamtausgabe:

Hier komme ich auf einen Punkt zu sprechen, der ganz und gar wichtig ist gerade für diejenigen, die mit der eigenen Seele eine okkulte Entwickelung durchmachen wollen. Ich möchte wirklich alles versuchen, um gerade über dasjenige, was ich jetzt aussprechen will, Klarheit hervorzurufen. Gewiss, mittelalterliche Alchimisten haben gesagt – und ich kann heute nicht auseinandersetzen, was sie eigentlich damit gemeint haben —, sie haben gesagt, man könne aus allen Metallen Gold machen, Gold in so großer Menge, wie man will, nur muss man zunächst unbedingt ein Winziges an Gold haben. Ohne dass man das hat, kann man kein Gold machen. Aber wenn man ein Winzigstes an Gold hat, kann man beliebige Mengen Goldes machen. – So ist es nämlich, wenn auch nicht mit dem Goldmachen, so ist es mit dem Hellsehen. Kein Mensch könnte eigentlich zu wirklichem Hellsehen kommen, wenn er nicht zunächst ein Winziges an Hellsehen in der Seele hätte. Wenn es wahr wäre, was ein allgemeiner Glaube ist, dass die Menschen, wie sie sind, nicht hellsichtig seien, dann könnten sie überhaupt nicht hellsichtig werden. Denn wie der Alchimist meint, dass man etwas Gold haben muss, um viele Mengen Goldes hervorzuzaubern, so muss man unbedingt etwas hellsehend schon sein, damit man dieses Hellsehen immer weiter und weiter ins Unbegrenzte hinein ausbilden kann. 

Nun könnten Sie ja die Alternative aufstellen und sagen: Also glaubst du, dass wir schon alle hellsichtig sind, wenn auch nur ein Winziges, oder dass diejenigen unter uns, die nicht hellsichtig sind, es auch nie werden können? – Sehen Sie, darauf kommt es an, dass man versteht, dass der erste Fall der Alternative richtig ist: Es gibt wirklich keinen unter Ihnen, der nicht – wenn er sich dessen auch nicht bewusst ist – diesen Ausgangspunkt hätte. Sie haben ihn alle. Keiner von Ihnen ist in der Not, weil Sie alle ein gewisses Quantum Hellsehen haben. Und was ist dieses Quantum? Das ist dasjenige, was gewöhnlich gar nicht als Hellsehen geschätzt wird. 

Verzeihen Sie einen etwas groben Vergleich: Wenn eine Perle am Wege liegt und ein Huhn findet sie, so schätzt das Huhn die Perle nicht besonders. Solche Hühner sind die modernen Menschen zumeist. Sie schätzen die Perle, die ganz offen daliegt, gar nicht, sie schätzen etwas ganz anderes, sie schätzen nämlich ihre Vorstellungen. Niemand könnte abstrakt denken, wirkliche Gedanken und Ideen haben, wenn er nicht hellsichtig wäre, denn in den gewöhnlichen Gedanken und Ideen ist die Perle der Hellsichtigkeit von allem Anfange an. Diese Gedanken und Ideen entstehen genau durch denselben Prozess der Seele, durch den die höchsten Kräfte entstehen. Und es ist ungeheuer wichtig, dass man zunächst verstehen lernt, dass der Anfang der Hellsichtigkeit etwas ganz Alltägliches eigentlich ist: man muss nur die übersinnliche Natur der Begriffe und Ideen erfassen. Man muss sich klar sein, dass aus den übersinnlichen Welten die Begriffe und Ideen zu uns kommen, dann erst sieht man recht. Wenn ich Ihnen erzähle von Geistern der höheren Hierarchien, von den Seraphim, Cherubim, von den Thronen herunter bis zu den Archangeloi und Angeloi, so sind das Wesenheiten, die aus geistigen, höheren Welten zu der Menschenseele sprechen müssen. Aus eben diesen Welten kommen der Seele die Ideen und Begriffe, sie kommen geradezu in die Seele aus höheren Welten herein und nicht aus der Sinnenwelt. 

Es wurde als ein großes Wort eines großen Aufklärers gehalten, das dieser gesagt hat im 18. Jahrhundert: Mensch, erkühne dich, deiner Vernunft dich zu bedienen. – Heute muss ein größeres Wort in die Seelen klingen, das heißt: Mensch, erkühne dich, deine Begriffe und Ideen als die Anfänge deines Hellsehertums anzusprechen. – Das, was ich jetzt ausgesprochen habe, habe ich schon vor vielen Jahren ausgesprochen, ausgesprochen in aller Öffentlichkeit, nämlich in meinen Büchern «Wahrheit und Wissenschaft» und «Philosophie der Freiheit», wo ich gezeigt habe, dass die menschlichen Ideen aus übersinnlichem, geistigem Erkennen kommen. Man hat es dazumal nicht verstanden; das ist ja auch kein Wunder, denn diejenigen, die es hätten verstehen sollen, die gehörten, nun ja, halt zu den Hühnern. 

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Rudolf Steiner zur „Philosophie der Freiheit“ und den Hühnern wurde am 27.03.2016 unter Hide veröffentlicht.

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