Rudolf Steiner zur Frage, für wen der Mensch arbeitet – Arbeit darf keine Ware sein – Das Rechtsleben muss immer die Schäden des Wirtschaftslebens ausgleichen


 

von Rudolf  Steiner

 

So kommt man zu dem, was im demokratischen Staatswesen durchweben und durchfluten kann die Impulse, die orientieren müssen das Leben von Mensch zu Mensch, die, sei es in der Arbeiterversicherung, sei es irgendwie in anderen Versicherungen, die da sind zum Schutze gegen die Schäden des Wirtschaftslebens, in alledem muss das leben als das Fundament des Rechtes, von dem ich eben gesprochen habe. Und ein Verständnis, aber jetzt nicht ein Verständnis für irgendeine allgemeine abstrakte Definition des Rechtes, sondern ein Verständnis für die Wirksamkeit des Rechtes im einzelnen konkreten Fall, das ist es, was behufs eines gesunden sozialen Lebens der Menschheit eintreten muss. Dieses Rechtsleben, dieses Leben des politischen Staates im engeren Sinn, des zweiten Gliedes eines gesunden sozialen Organismus, das wird es auch sein, welches den eigentlichen Kreuzpunkt, möchte ich sagen, der modernen sozialen Frage allein, nicht durch irgendwelche Verwirklichungen von theoretischen Ansichten und Prinzipien und Programmen, sondern durch das unmittelbare Leben aus der Welt schaffen wird, nämlich den Punkt, den ich vorhin bezeichnet habe als die Forderung des modernen Proletariats: die Arbeitskraft des Menschen des Warencharakters zu entkleiden. 

Dazu ist allerdings notwendig, dass man auch verstehe, ich möchte sagen, aus dem Fundament heraus verstehe, worauf es ankommt bei dem Anteil, den menschliche Arbeit im allgemeinen menschlichen Leben, in der Struktur der menschlichen Gesellschaft hat. Wiederum würde es Stunden in Anspruch nehmen, wenn ich ein soziales Grundgesetz der menschlichen Arbeit hier im einzelnen begründen wollte; intuitiv, glaube ich, und instinktiv kann jeder Mensch, der das Leben nur einigermaßen durchschaut, begreifen, was ich jetzt aussprechen werde. Ich habe versucht, bereits im Beginne des Jahrhunderts in einem Aufsatz, der dazumal in meiner damals erscheinenden Zeitschrift «Luzifer-Gnosis» über die soziale Frage erschienen ist, gerade auf dieses fundamentale soziale Gesetz aufmerksam zu machen. Aber man predigte damals und predigt über viele Dinge auf diesem Gebiet auch heute noch tauben Ohren, leider. Dieses Gesetz besteht darin, dass niemand, insofern er dem sozialen Körper, dem sozialen Organismus angehört, für sich selber in Wirklichkeit arbeitet. Wohlgemerkt, insoferne der Mensch dem sozialen Organismus angehört, arbeitet er nicht für sich selbst. Jegliche Arbeit, die der Mensch leistet, kann niemals auf ihn zurückfallen, auch nicht in ihrem wirklichen Erträgnis, sondern sie kann nur für die anderen Menschen geleistet sein. Und das, was die anderen Menschen leisten, das muss uns selbst zugute kommen. Es ist nicht bloß ein ethisch zu fordernder Altruismus, der in diesen Dingen lebt, sondern es ist einfach ein soziales Gesetz. Wir können gar nicht anders, ebensowenig wie wir unser Blut anders leiten können, als in der Zirkulation der menschlichen Betätigung so wirken, dass unsere Tätigkeit allen anderen, und aller anderer Tätigkeit uns zugute kommt, dass niemals unsere eigene Tätigkeit auf uns selbst zurückfällt. 

So paradox es klingt, wenn Sie untersuchen, welchen wirklichen Zirkulationsprozeß menschliche Arbeit im sozialen Organismus macht, Sie werden finden: sie geht aus dem Menschen heraus, sie kommt den anderen zugute, und das, was die einen von der Arbeitskraft haben, das ist das Ergebnis der Arbeitskraft anderer. Wie gesagt, so paradox es klingt, wahr ist es. Man kann ebensowenig leben von seiner eigenen Arbeit im sozialen Organismus, als man sich selber aufessen kann, um sich zu ernähren.

Obschon im Grunde genommen das Gesetz sehr leicht zu verstehen ist, können Sie einwenden: Wenn ich nun aber ein Schneider bin und unter den Kleidern, die ich für andere herstelle, auch einmal mir selber einen Anzug mache, dann habe ich doch meine Arbeitskraft auf mich selber angewendet! – Das ist nur eine Täuschung, wie es überhaupt immer eine Täuschung ist, wenn ich glaube, dass das Ergebnis eigener Arbeit auf mich zurückfallt. Indem ich mir einen Rock, eine Hose oder dergleichen mache, arbeite ich in Wahrheit nicht für mich, sondern ich setze mich in die Lage, weiter für andere zu arbeiten. Das ist das, was die menschliche Arbeit als Funktion rein durch ein soziales Gesetz innerhalb des sozialen Organismus hat. Wer gegen dieses Gesetz verstößt, der arbeitet gegen den sozialen Organismus. Deshalb arbeitet man gegen den sozialen Organismus, wenn man weiter verwirklicht dasjenige, was sich im neueren geschichtlichen Leben ergeben hat, dass man den proletarischen Arbeiter von dem Erträgnis seiner Arbeitskraft leben lässt.

Denn das ist keine Wahrheit, das ist eine durch die sozialen Verhältnismittel kaschierte, realisierte Unwahrheit, die sich hereindrängt als zerstörend in das Wirtschaftsleben. Das ist dasjenige, was aber in dem Wirtschaftsleben nur geregelt werden kann, wenn dieses Wirtschaftsleben sich selbständig entwickelt und neben ihm relativ selbständig das politische, das engere Staatsleben sich entwickelt, das immerzu entreißt dem wirtschaftlichen Leben die Möglichkeit, die menschliche Arbeit auf sich selber zu lenken. Innerhalb des Rechtssystems wird das bewirkt im richtigen sozialen Verständnis, dass die menschliche Arbeit diejenige Funktion erhalte, welche sie erhalten muss gemäß dem wahrhaftigen Verlaufe des Lebens im sozialen Organismus. Der wirtschaftliche Organismus für sich hat immer die Tendenz, die Arbeitskraft des Menschen zu verbrauchen. Das Rechtsleben muss immer der Arbeitskraft ihre naturgemäße altruistische Stellung anweisen, und immer ist es von neuem notwendig, durch neue konkrete demokratische Gesetzgebung das, was das Wirtschaftsleben in Unwahrheit realisieren will, diesem Wirtschaftsleben immer aufs neue zu entreißen, und immer aufs neue die menschliche Arbeitskraft aus den Fängen des Wirtschaftslebens auf dem Wege des öffentlichen Rechtes herauszureißen. Geradeso wie zusammenwirken müssen das bloße Verdauungssystem mit dem Atmungs-Zirkulationsleben, indem aufgenommen wird von dem zirkulierenden Blute das, was dem Verdauungssystem einverleibt wird, so muss nebeneinanderwirken, aufeinanderwirken das, was im Wirtschaftsleben vorgeht und das, was im Rechtsleben vorgeht, sonst gedeiht das eine und das andere nicht. Der bloße Rechtsstaat, wenn er Wirtschafter werden will, lähmt das Wirtschaftsleben; der Wirtschaftsorganismus, wenn er sich den Staat erobern will, tötet das System, das Leben des öffentlichen Rechtes.

 

Aus Nr. 328 der Rudolf Steiner Gesamtausgabe, Seite: 88ff, Hervorhebungen IH,

 

 

 


Rudolf Steiner zur Frage, für wen der Mensch arbeitet – Arbeit darf keine Ware sein – Das Rechtsleben muss immer die Schäden des Wirtschaftslebens ausgleichen wurde am 02.09.2014 unter Hide veröffentlicht.

Schlagworte: