Zu geringe Wertschätzung für Ökoprodukte II

von Ingo Hagel

Magere Bilanz nach 86 Jahren Bio

Nach 86 Jahren seiner Existenz weist der Biolandbau eine magere Bilanz auf:

  • Anfang 2010 wurden nur 5,6 % der Anbaufläche in Deutschland ökologisch bewirtschaftet (BÖLW 2010).
  • Eine noch geringere Relevanz hat Bio mit einem Anteil von nur ca. 3,5 % (Anfang 2009) am Gesamtumsatz des Lebensmittelmarktes (BÖLW 2009Bayerische Landesanstalt 2009).
  • Die Einkaufsmengen an Bio-Gemüse nehmen seit 2006 kaum noch zu (Gemüse 6/2010 S. 48-49). Dieser Prozess hat also noch lange vor der Finanzkrise begonnen, die Viele heute gerne als Ursache für die Absatzstagnation von Bio darstellen.
  • Der Hauptanteil des Bio-Gemüsegeschäftes wird mit Möhren gemacht. Allerdings liegt der Anteil der Discounter am Absatz von Bio-Möhren mittlerweile bei 77 % (Gemüse 6/2010 S. 48-49). Auf diesem Hintergrund scheint das Qualitätsangebot des gepriesenen Fachhandels für den Kunden nicht interessant zu sein.

Stiftung Warentest: Ökoprodukte unterscheiden sich nicht von konventionellen

Auch in den Medien gibt Bio ein Bild ab, das für den Menschen direkt eigentlich nichts zu bieten hat: Ende Mai 2010 veröffentlichte Stiftung Warentest eine Untersuchung, die über 8 Jahre hinweg insgesamt 85 verschiedene Lebensmittel aus konventionellem und ökologischem Anbau verglichen hatte. So wurden zum Beispiel für die Gesamtbewertung 249 biologische und 1007 konventionelle Produkte verglichen. Die Ergebnisse fasste sie in einer Presseerklärung mit folgenden Worten zusammen: „Biolebensmittel sind nicht automatisch gesünder oder schmackhafter als konventionelle Lebensmittel. Nach den test-Qualitätsurteilen gibt es im Durchschnitt auch sonst keine qualitativen Unterschiede. Allerdings bietet die Ökokost zwei Vorteile gegenüber der konventionellen: Pestizide kommen selten vor. Außerdem engagieren sich die Bioanbieter wesentlich stärker für Umwelt und Soziales als Hersteller herkömmlicher Produkte.“

Öko in der Presse enttäuschend

Bio hat in Deutschland nur eine geringe Bedeutung – trotz einiger Zunahmen in den letzten Jahren. Dennoch ist das Thema von medialem Interesse – besonders wenn wieder mal erwiesen scheint, dass Bio sich qualitativ nicht von konventionellen Produkten unterscheidet. Daher berichteten viele Zeitungen von der oben genannten Untersuchung der Stiftung Warentest. Der Spiegel schrieb: „Wer Biolebensmittel kauft, tut Gutes. „Er investiert in eine ökologische, tiergerechte und nachhaltige Landwirtschaft“, sagte Ina Bockholt im Deutschlandradio. Die Mitarbeiterin der Stiftung Warentest macht Ökoanhängern mit diesem Argument ein wenig Mut. Das dürfte freilich nötig sein, denn das Fazit der Tester ist insgesamt enttäuschend für die Biobranche. ….  Bio ist nicht unbedingt gesünder oder schmackhafter als normale Kost. Im Durchschnitt gebe es keine qualitativen Unterschiede.“

Auch die Leser des Stern Stern erfuhren von einem „ernüchternden Ergebnis: Generell gesünder und schmackhafter sind die Ökoprodukte nicht.“ Vorteile für den Ökokäufer bestünden nur darin, dass dieser „vor allem sein ökologisches und soziales Gewissen“ beruhigt.

Sekundäre Pflanzenstoffe unbedeutend

Aus der taz war mit Blick auf gesundheitlich positive Substanzen in Ökolebensmitteln zu entnehmen: „Dass Biolebensmittel mehr sekundäre Pflanzenstoffe enthielten, denen eine gesundheitsfördernde Wirkung nachgesagt wird, ließen die Tester nicht gelten. …. Die Mengen seien so gering, dass sie nicht für gesundheitliche Vorteile reichten, schreibt Test. „Wir haben sie daher nicht bewertet.““


Anmerkung:
Genaueres dazu steht in dem Gesamtbericht der Stiftung Warentest„Biolebensmittel sollen besonders reich an bioaktiven Stoffen sein, behauptet eine Studie des Forschungsinstituts für biologischen Landbau. Dazu zählen auch sekundäre Pflanzenstoffe, mit denen Pflanzen sich auf natürliche Art verteidigen. Den Substanzen werden gesundheitsfördernde Wirkungen nachgesagt. In unseren Tests stellten wir fest, dass sich sekundäre Pflanzenstoffe in naturnah hergestellten Produkten meist ballten. Es war unerheblich, ob sie ökologischer oder konventioneller Herkunft waren. So enthielt trüber Apfelsaft mehr Polyphenole als klarer. Das Karotinoid Lutein kam nur in nativem, nicht in raffiniertem Rapsöl vor. Doch die Mengen an sekundären Pflanzenstoffen reichten jeweils nicht für gesundheitliche Vorteile. Wir haben sie daher nicht bewertet.“

Die Süddeutsche Zeitung wurde mit Blick auf etwaige Gesundheitsvorteile von Ökoprodukten noch deutlicher, indem sie dem Ökolandbau überhaupt ein Anliegen auf diesem Gebiet absprach: „Die ökologische Landwirtschaft kann natürlich nicht den Anspruch haben, mit ihren Produkten direkt die Gesundheit zu fördern oder besonders schmackhafte Waren herzustellen. Vielmehr liegen ihre eigentlichen Ziele anders.“

Diese liegen gemäß der Süddeutschen Zeitung im Umwelt- und Tierschutz (artgerechte Haltung der Tiere, keine Antibiotika, Hormone, Verzicht auf Pestizide und Kunstdünger soll beim Ackerbau die Umwelt schützen, Bremsung des Klimawandels durch Reduzierung des Kohlendioxidausstoßes etc.). „Alle diese Maßnahmen dienen dem Schutz der Umwelt, der Tiere und kommen indirekt (Hervorhebung IH) auch dem Menschen zugute,“ meint der Autor in der Süddeutschen Zeitung. Das heißt, er kann sich einen direkten Einfluss und Förderung von Gesundheit und Wohlbefinden des Menschen nicht vorstellen.

Dass er mit dieser Auffassung nicht isoliert dasteht, sondern dass diese von den Zentralverbänden des ökologischen Landbaus geteilt wird, geht aus einer Pressemitteilung vom 27. Mai 2010 des Bundes für Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) hervor. Der BÖLW gibt unumwunden zu, dass er zum Gesundheitsaspekt von Ökoprodukten ebenfalls nichts Positives für den Menschen direkt erwartet. Nur indirekt – das heißt über Umwelt- und Naturschutz – besäßen Lebensmittel aus ökologischem Anbau eine Gesundheitswirkung: „Nährstoffgehalte und Rückstandsfreiheit sind nicht alles, was den Gesundheitswert eines Lebensmittels ausmacht. Zur Gesundheit des Menschen gehört, dass die von ihm gekauften Lebensmittel umwelt-, tier- und ressourcenschonend erzeugt werden. Denn individuelle Gesundheit ist nur in einer gesunden Umwelt möglich. Der bewusste Einkauf und Verzehr von Bio-Lebensmitteln kann so (Hervorhebung IH) zum Wohlbefinden des Menschen beitragen.“

Ökoverbände mitverantwortlich für das geringe Interesse der Menschen an Bioprodukten

Dieses Statement des BÖLW demonstriert eine völlige Ahnungs- und Anspruchslosigkeit hinsichtlich der Bedeutung von Ökoprodukten für die Gesundheit und das Wohlbefinden des Menschen sowie eine einseitige Auffassung des Anliegens des ökologischen Landbaus. Dabei handelt es sich jedoch nicht um bedauerliche Ausrutscher eines überlasteten Geschäftsführers, sondern um grundsätzliche Einschätzungen eines Spitzenverbandes des Ökologischen Landbaus zur Qualität von Ökoprodukten, die genauso von anderen und höchsten Stellen der Öko-Branche geteilt und verbreitet werden – und die mitverantwortlich sind für das geringe Interesse der Menschen an Bioprodukten. In dieser Beziehung ist ein Interview bezeichnend, das die pfiffige Redakteurin der Sendung Panorama, Anja Reschke, mit Urs Niggli, dem Direktor des renommierten Forschungssinstituts für Biologischen Landbau (FIBL) in der Schweiz (und Honorarprofessor für Ökologischen Landbau an der Universität Kassel in Witzenhausen) anlässlich der Pressekonferenz zur Vorstellung der QLIF-Studie des Ökologischen Landbaus geführt hatte. Hier der Text des Interviews: 

Anja Reschke: „Herr Niggli, Wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, ist es ja doch so, dass die Wissenschaft seit vielen Jahren versucht zu beweisen, dass Ökoprodukte besser sind als konventionelle Produkte. Und wenn ich das jetzt richtig verstanden habe, ist Ihnen das jetzt mit der Studie gelungen?“
Urs Niggli: „Ich denke ja. Dieses europäische Forschungsprojekt hat wesentliche Unterschiede zwischen Öko und konventionellen Produkten gezeigt.“
Anja Reschke: „Und kann ich jetzt sagen: Bio ist gesünder als konventionell?“
Urs Niggli: „Ich denke, Bio ist wertvoller. Also wir konnten eine bessere Qualität feststellen, aber wir konnten nicht eine Gesundheitswirkung messen.“
Anja Reschke: „Ach so! Man kann nur sagen, es ist mehr drin, aber nicht, ob das gesund ist?“
Urs Niggli: „Exakt.“
Anja Reschke: „Ist denn in Ihrer Studie auch rausgekommen, dass irgendwo vielleicht die konventionelle Landwirtschaft besser war?“
Urs Niggli: „Auch die konventionellen Produkte haben eine hohe Qualität, und wichtige Nährstoffe, die sind in beiden Systemen — sind die eigentlich auf dem gleichen Niveau.“
Anja Reschke: „Grundsätzlich: Würden Sie sagen, wenn ich jetzt mir nur konventionell leisten kann oder wenn ich keinen Zugang zu Bio habe oder mir das nicht kaufen will, laufe ich dann Gefahr, dass ich viel ungesünder bin als der, der Bio kauft?“
Urs Niggli: „Nein! Ich denke, Menschen, die sich gesund konventionell ernähren, die sind genauso gesund wie Menschen, die sich vernünftig ökologisch ernähren“ (Hervorhebung IH).

 

 

Anmerkung (vom 17. Okt. 2010): Bis vor kurzem stand dieses Interview mit Urs Niggli in der Sendung „Panorama – Die Reporter“ (vom 7. Okt. 2009) zum  Ansehen und zum Download auf der Homepage des NDR zur Verfügung. Der bis vor kurzem auf Umkreis-Online dazu auffindbare Link geht aber mittlerweile ins Leere. Eine Recherche im Archiv der NDR Mediathek brachte zwar einen Hinweis auf die betreffende Sendung wieder zum Vorschein. Während jedoch die Sendungen von „Panorama – Die Reporter“ anderer Sendetermine weiterhin problemlos als Videoclips herunterzuladen sind, hat der NDR (in der Zeit nach Erscheinen des vorliegenden Artikels auf Umkreis-Online) den Download dieser Sendung gelöscht. Dem Umkreis-Institut liegt dieser Clip jedoch aus Zeiten, wo der Download dieser Sendung noch möglich war, vor.

Auf der betreffenden Seite des NDR wird allerdings das fatale Signal der von Urs Niggli geleiteten QLIF Studie deutlich: „Und selbst renommierte Ökowissenschaftler müssen einräumen, dass man genauso gesund isst, wenn man konventionelles Gemüse kauft“ – wie an diesem Screenshot aus der Panorama Homepage ersichtlich ist (Hervorhebungen IH):

Und wenigstens ist noch aus einem PDF, das über folgenden Link herunterzuladen ist

der Text der Antwort von Urs Niggli auf die Frage der Panorama-Moderatorin Anja Reschke zu lesen:

Panorama: “Wenn ich mir jetzt nur konventionell leisten kann, laufe ich dann Gefahr, dass ich viel ungesünder bin als der, der Bio kauft?“

O-Ton Urs Niggli, Forschungsinstitut für biologischen Landbau: „Nein, ich denke, Menschen, die sich gesund konventionell ernähren, die sind genauso gesund wie Menschen, die sich vernünftig ökologisch ernähren.“

Allerdings handelt es sich bei dieser Textversion nur um die gekürzte Fassung des Interviews (der Sendung „Panorama – Die Reporter“), welches dann in der Sendung „Panorama“ vom 8. Okt. 2009 im Ersten Programm der ARD ausgestrahlt wurde. Die Bio-Sendung fängt dort bei 8:40 Minuten an, das Interview mit Urs Niggli beginnt bei 17:40 Minuten.

Anmerkung 27. Okt. 2010: Mittlerweile ist der Clip „Geheimsache Bio“ mit dem Interview von Urs Niggli aus der Reihe „Panorama – Die Reporter“ wieder auf der Homepage des NDR zu finden.


Er findet sich nun auch auf der Homepage zur am 24. Okt. 2010 ausgestrahlten Talkrunde mit Anne Will „Aus dem Labor auf den Tisch – aber ist Bio wirklich besser?“ in der Rubrik „Am Pult bei Anne Will“ oder direkt hier (das Interview mit Urs Niggli beginnt bei 3:30 Minuten).

In der Talkshow fragte Anne Will die Journalistin Anja Reschke mit Blick auf ihre durchgeführten Recherchen, ob Bio denn nun gesünder ist als konventionell hergestelltes Essen. Anja Reschke verwies auf die Vielzahl der Studien und Institute, die sehr unterschiedliche Auffassungen dazu hätten und dann auf ihr (oben angeführtes) Interview in der Panorama-Sendung (mit dem Koordinator der ökologischen QLIF-Studie, Urs Niggli, ohne dessen Namen zu nennen): „Dann gab es die große Europäische Biostudie, die dann sagte, es ist gesünder. Ich habe mich dann mit dem Wissenschaftler unterhalten und habe ihn gefragt, wo es denn gesünder ist, und dann kommen die mit so Antoxidantien und Flavonoiden und solchen Sachen, und dann hab ich mich gefragt, ob man die jetzt braucht unbedingt so, und dann hat er gesagt: Nöö, man würde sich auch gut gesund ernähren, wenn man sich gesund konventionell ernährt. Also von daher — weiß ich nicht.“
Die Zuschauer fanden den lockeren Beitrag sehr aufschlussreich und belohnten ihn mit herzlichem Applaus.

Anmerkung 15. Mai. 2011: Den Clip zu dieser Sendung „Panorama – Die Reporter“ fanden wir mittlerweile auch auf YouTube. Das Interview mit Urs Niggli ist bei 8:50 Min. zu sehen.

Bei solchen Einschätzungen hochrangiger Ökoforschungsfunktionäre gibt es für den Verbraucher keinen Grund, sich beim Kauf für Ökoprodukte zu entscheiden (außer den teilweise ja berechtigten, aber mit Blick auf menschliche Perspektiven sowie den angesichts der schlechten Entwicklung des Ökologischen Landbaus doch ganz offensichtlich lahmen Argumenten des Natur-, Tier- und Umweltschutzes). Wer aber jemals erlebt hat, welche positiven Wirkungen eine Ernährung mit Ökoprodukten auf das eigene Wohlbefinden, die Kraft und die Leistungsfähigkeit hat, wird anders urteilen. Und er wird sich Sorgen machen um die Entwicklung der Qualität von Ökoprodukten angesichts derartiger perspektivischer Defizite der Ökobranche selbst mit Blick auf die Qualität der eigenen Produkte.


Zu geringe Wertschätzung für Ökoprodukte II wurde am 23.06.2010 unter Ökologischer Landbau veröffentlicht.

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