Rudolf Steiner zu Goethe und Schiller


 

von Rudolf Steiner

 

 

Aus Nr. 6 der Rudolf Steiner Gesamtausgabe, Seite 22f

 Goethe erzählt von einem Gespräch, das sich einstmals zwischen ihm und Schillern entspann, nachdem beide einer Sitzung der naturforschenden Gesellschaft in Jena beigewohnt hatten. Schiller zeigte sich wenig befriedigt von dem, was in der Sitzung vorgebracht worden war. Eine zerstückelte Art, die Natur zu betrachten, war ihm entgegen getreten. Und er bemerkte, dass eine solche den Laien keineswegs anmuten könne. Goethe erwiderte, dass sie «den Eingeweihten selbst vielleicht unheimlich bleibe, und dass es doch wohl noch eine andere Weise geben könne, die Natur nicht gesondert und vereinzelt vorzunehmen, sondern sie wirkend und lebendig, aus dem Ganzen in die Teile strebend darzustellen.» Und nun entwickelte Goethe die großen Ideen, die ihm über die Pflanzennatur aufgegangen waren. Er zeichnete «mit manchen charakteristischen Federstrichen eine symbolische Pflanze» vor Schillers Augen. Diese symbolische Pflanze sollte die Wesenheit ausdrücken, die in jeder einzelnen Pflanze lebt, was für besondere Formen eine solche auch annimmt. Sie sollte das sukzessive Werden der einzelnen Pflanzenteile, ihr Hervorgehen auseinander und ihre Verwandtschaft untereinander zeigen. Über diese symbolische Pflanzengestalt schrieb Goethe am 17. April 1787m Palermo die Worte nieder: «Eine solche muss es denn doch geben! Woran würde ich sonst erkennen, dass dieses oder jenes Gebilde eine Pflanze sei, wenn sie nicht alle nach einem Muster gebildet wären.» Die Vorstellung einer plastisch-ideellen Form, die dem Geiste sich offenbart, wenn er die Mannigfaltigkeit der Pflanzengestalten überschaut und ihr Gemeinsames beachtet, hatte Goethe in sich ausgebildet. Schiller betrachtete dieses Gebilde, das nicht in einer einzelnen, sondern in allen Pflanzen leben sollte, und sagte kopfschüttelnd: «Das ist keine Erfahrung, das ist eine Idee.» Wie aus einer fremden Welt kommend, erschienen Goethe diese Worte. Er war sich bewusst, dass er zu seiner symbolischen Gestalt durch dieselbe Art naiver Wahrnehmung gelangt war wie zu der Vorstellung eines Dinges, das man mit Augen sehen und mit Händen greifen kann. Wie die einzelne Pflanze, so war für ihn die symbolische oder Urpflanze ein objektives Wesen. Nicht einer willkürlichen Spekulation, sondern unbefangener Beobachtung glaubte er sie zu verdanken. Er konnte nichts entgegnen als: «Das kann mir sehr lieb sein, wenn ich Ideen habe, ohne es zu wissen, und sie sogar mit Augen sehe.» Und er war ganz unglücklich, als Schiller daran die Worte knüpfte: «Wie kann jemals eine Erfahrung gegeben werden, die einer Idee angemessen sein sollte. Denn darin besteht das Eigentümliche der letzteren, dass ihr niemals eine Erfahrung kongruieren könne.»

Zwei entgegengesetzte Weltanschauungen stehen in diesem Gespräche einander gegenüber. Goethe sieht in der Idee eines Dinges ein Element, das in demselben unmittelbar gegenwärtig ist, in ihm wirkt und schafft. Ein einzelnes Ding nimmt, nach seiner Ansicht, bestimmte Formen aus dem Grunde an, weil die Idee sich in dem gegebenen Falle in einer besonderen Weise ausleben muss. Es hat für Goethe keinen Sinn zu sagen, ein Ding entspreche der Idee nicht. Denn das Ding kann nichts anderes sein, als das, wozu es die Idee gemacht hat. Anders denkt Schiller. Ihm sind Ideenwelt und Erfahrungswelt zwei getrennte Reiche. Der Erfahrung gehören die mannigfaltigen Dinge und Ereignisse an, die den Raum und die Zeit erfüllen. Ihr steht das Reich der Ideen gegenüber, als eine anders geartete Wirklichkeit, dessen sich die Vernunft bemächtigt. Weil von zwei Seiten dem Menschen seine Erkenntnisse zufließen, von außen durch Beobachtung und von innen durch das Denken, unterscheidet Schiller zwei Quellen der Erkenntnis. Für Goethe gibt es nur eine Quelle der Erkenntnis, die Erfahrungswelt, in welcher die Ideenwelt eingeschlossen ist. Für ihn ist es unmöglich, zu sagen: Erfahrung und Idee, weil ihm die Idee durch die geistige Erfahrung so vor dem geistigen Auge liegt, wie die sinnliche Welt vor dem physischen. 

 

 

siehe dazu auch hier (aus Nr. 175 der Rudolf Steiner Gesamtausgabe, Seite 23f; Hervorhebungen IH):

Goethe hat ja bekanntlich versucht, in seiner Metamorphosenlehre Vorstellungen zu gewinnen über das Wachstum der Pflanzen. Sie wissen, ich habe öfter aufmerksam gemacht: er kam über diese Metamorphosenlehre einmal in ein Gespräch mit Schiller, als die beiden einen Vortrag des Jenenser Professors Batsch gehört hatten. Da gefiel Schiller die Art, wie Batsch von den Pflanzen sprach, nicht sehr, und er sagte, man brauche nicht alles so zu zerstückeln, man könne sich eine ganz andere Betrachtungsweise denken. Goethe zeichnete dann mit einigen Strichen die Idee seiner Metamorphose der Pflanzen auf, um zu zeigen, was man sich gleichsam als geistiges Band der einzelnen Pflanzenerscheinungen denken könne. Und Schiller sagte: Das ist keine Erfahrung, das ist eine Idee. Keine äußere erfahrungsgemäße Wirklichkeit, sondern eine Idee. – Goethe verstand diesen Einwand nicht recht, sondern er sagte: Das kann mir sehr lieb sein, dass ich Ideen habe ohne es zu wissen, und sie sogar mit Augen sehe. – Also er verstand das nicht, wie das eine Idee bedeuten solle, was doch aus der Wirklichkeit, wie ein Ton oder eine Farbe aufgenommen wird. Er behauptete, er sehe seine Ideen mit Augen. Das verrät schon, dass Goethe das Geistige mitzusehen versuchte, innerhalb des Pflanzenwachstums zum Beispiel.


Rudolf Steiner zu Goethe und Schiller wurde am 14.11.2014 unter Hide veröffentlicht.

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