14.06.2022
Vor einigen Jahren starb meine liebe Frau Stella Hagel. Sie war Bühnen-Eurythmistin, in Dornach ausgebildet, und hatte in späteren Jahren ihres Lebens beruflich viel mit Kindern zu tun, indem sie in Kindergärten Eurythmie unterrichtete. Aber auch ganz unabhängig von dieser beruflichen Tätigkeit hatte sie intensive Begegnungen mit Kindern von Geschwistern und Freunden. ...
Diese Kindergeschichten umfassen einen Zeitraum von 49 Jahren und beginnen mit meinen eigenen ersten Erinnerungen mit 2 1⁄2 Jahren. Sie umfassen Erlebnisse mit meinen jüngeren Geschwistern und gehen bis in viel spätere Jahre hinein, als die Geschwister selber bereits Kinder hatten, meine lieben Nichten und Neffen, welche ich oft gehütet habe. ...
Eines Tages vor der Eurythmie sitzen die Kinder wartend im Kreise. Sie ziehen sich die Eurythmieschuhe an und bekommen von der Kindergärtnerin die schönen seidenen Eurythmiekittel angezogen. In der traulichen Atmosphäre fangen sie an, kleine Zwiegespräche zu führen.
Wir waren zu Hause drei Kinder. Eine Seite eines jeden von uns tat sich bereits auf dem Wickeltisch kund.
Während meiner eigenen Taufe in der Christengemeinschaft schrie ich von Anfang bis Ende durch. Dies war für mich etwas Besonderes, so erzählte man mir, denn ich schrie sonst kaum. Aber zu ganz besonderen Anlässen, so kann ich mich an einige selbst erinnern, schrie ich dafür mörderisch.
Ich erinnere mich noch sehr genau, wie mein Schwesterchen geboren wurde.
Als Zweitgeborene hatte meine Schwester als kleines Kind die Fähigkeit, sich in einem Raum von Unbemerktheit stillvergnügt zu amüsieren.
Ich, fünf Jahre alt, bekomme von meiner Mutter die Aufgabe übertragen, mit der Milchkanne loszuziehen, um im Milchladen einen Liter Milch zu kaufen.
Auf der Suche nach interessanten Erlebnissen für sein Töchterchen besucht mein Vater mit mir die Straßenbahnremise.
Mit zweieinhalb Jahren bin ich keine gute Esserin. „Pfui“ sage ich, wenn man mich füttern will. „Lass das doch.“
Oft und ausgiebig malte ich mit meinen Wachsmalstiften. Ab und zu verspürte ich das Bedürfnis, „richtig“ zu malen. Richtig malen bedeutete, mit Wasserfarben zu malen. Dies war eine aufwändige Sache und brauchte sorgfältige Vorbereitungen.
Unsere Mutter war zehn oder elf Jahre alt, als sie ihrer Freundin gestand: „Weißt Du, Lore, ich glaube ja jetzt auch nicht mehr an den Nikolaus ..."
Mit fünf Jahren hatte ich den Impuls, dem Nikolaus ein Bild zu malen. Meine Ehrfurcht und Liebe zu ihm war ganz besonders angeregt worden, nachdem er in der Kleinkindeurythmie in wundervoller und ganz unbeschreiblicher Würde direkt aus dem Himmel zu uns gekommen schien.
Auf einem Spaziergang traulich Hand in Hand in sinnende Gespräche vertieft machte mich mein Vater darauf aufmerksam, dass bald wieder die Faschingszeit nahe und frug mich, ob ich schon wüsste, wer oder was ich diesmal sein wolle.
Das Faschingsfest wurde in den drei Jahren, während denen wir in Kassel lebten, immer bei derselben Familie gefeiert. Und in allen drei Jahren entstand für mich ein besonders starkes Erlebnis. Nun war ich sechs Jahre alt, bald schon ein Schulkind, und auf einmal gab es keine freie Wahl in Bezug auf das, was ich in diesem Jahr zu Fasching sein wollte.
Das Abendlied „Guten Abend, gute Nacht“ hatte mich, fünf Jahre alt, immer schon ein wenig beunruhigt. Die Stelle „Morgen früh, wenn Gott will, wirst Du wieder geweckt“ empfand ich ungemütlich.
Ungefähr fünfjährig wurde ich von meinen viel älteren Cousinen und Cousins auf ein großes Pferd gesetzt. Man erwartete, dass es mir dort oben gefiele.
Einmal landeten wir, mit großen Koffern bepackt, nach einer größeren Reise auf unserem Heimatbahnhof. Es war stockdunkel, und wir suchten ein Taxi.
Sieglinde, 5 Jahre, ist mit ihrer Familie nach Schweden gezogen und spricht bald recht gut Schwedisch. Ihre Muttersprache ist Deutsch.
Dreieinhalb Jahre lebten wir in Schweden. Vier Jahre, nachdem wir dieses Land wieder verlassen hatten, machte ich (mittlerweile 14 Jahre alt) dort einen Besuch. Vier Jahre sind in diesem Alter eine lange Zeit, und obwohl ich ehemals fließend Schwedisch gesprochen hatte, traute ich mich nun zunächst kaum, ein Wort in dieser Sprache zu sagen.
Mein viel jüngerer Bruder war ein äusserst humorvolles Kind, neigte aber zwischendurch zu jähzornigen Wutausbrüchen.
Für mein temperamentvolles, dünnhäutiges, leicht außer sich geratendes Brüderchen entdeckte meine Mutter ein wohltuendes Beruhigungsmittel.
Ich höre im Schulbus, wie mein vierjähriger Bruder, der im Gegensatz zu den anderen Kindern, die immer nur in der schwäbischen Kleinstadt lebten, schon viel herumgekommen ist in der Welt und davon etwas durcheinander ist, laut und selbstbewusst behauptet: „Nein, Stuttgart gehört nicht mehr zu Deutschland!“
Volker, fünf Jahre, macht mit seiner Familie Urlaub im Schwarzwald, beim Bauern. Er ist voller Begeisterung und hilft überall tüchtig mit. An einem Tag muss der Bauer Waldarbeiten machen und erklärt sich bereit, Volker in den nahen Wald mitzunehmen.
Eine Kindergeschichte meiner Mutter lautet so: Die Familie macht einen Spaziergang. Auf dem Rückweg möchte die kleine Christel (fünf Jahre) nicht mehr laufen. Sie ist müde und nörgelt.
Die fünfjährige Schwester meiner Mutter kam mit ihrer geliebten Großmutter aus dem Keller, wo etwas zu erledigen gewesen war.
Die Kinder toben draußen wie die Wilden um den Häuserblock, mit viel Peng-Peng und lautem Geschrei.
Mein Bruder Volker liebt gemütliche Familienzusammenkünfte, besonders die, bei denen es was zu Essen gibt. Sobald aber alle traut beisammen sitzen, geht es los mit den Scherereien.
Viele Jahre bemühten sich meine Eltern, würdig den Osterhasen bei ihren Kindern zu vertreten.
Meine Mutter entwickelte ihre für mich wunderbare Methode der Sprachgestaltung nicht zuletzt dadurch, dass ihr oft nur aus dem Umgang mit dieser Kunst, den Anregungen Rudolf Steiners aus dem „Dramatischen Kurs“ und seiner „Allgemeinen Menschenkunde“ Ideen zuflossen, wie sie ihren sensiblen, nicht einfach zu erziehenden Kindern helfen konnte, und wie sie ihnen durch die Kräfte der Sprache wertvolle Lebenskräfte zu vermitteln vermochte.
Volker hat, wie gesagt, als kleiner Junge viel Sprachgestaltung mit seiner Mutter gemacht, und das hat bei ihm zu beachtlichen Fähigkeiten geführt. Er bekommt öfter kleine Rollen in der Schule zugeteilt, die dann an der Monatsfeier aufgeführt werden. Mit acht Jahren soll er einen von drei Zwergen spielen.
Volker soll Geige üben, will aber lieber Fußball spielen. Großer Kampf zwischen Mutter und Sohn.
Die Mutter spielt den Engel im Oberuferer Paradeisspiel. Sie spielt ihn wunderbar, und sie hat auch etwas Engelhaftes in ihrem Wesen, darüber sind sich ihre Kinder immer einig. Allerdings ist sie ein gradliniger, sehr direkter Engel von manchmal köstlicher Berliner Art.
Diesmal war es nicht, wie üblich, Volker (sieben Jahre), einer in der ersten Reihe sitzenden kleinen Bengels, der Unruhe stiftete, sondern sein Banknachbar. So etwas immer gerecht zu beurteilen, erwarten die Kinder von ihren Lehrern, und wenn in den Turbulenzen mal einer zu unrecht beschuldigt wird, sind sie beleidigt.
Die Klasse bekommt die Hefte mit den korrigierten Diktaten zurück.
Als ich einmal nach Hause komme, liegt Volker stöhnend und arg zerschunden auf dem Bett.
Volker fährt ins Freibad mit seinem neuen Fahrrad. Schneidig saust er den Berg hinab.
Ein Aufmischer konnte mein Brüderlein Volker schon sein und zum Leidwesen seiner Mutter auch der Klassenkasper. Aber er war immer geradlinig und nie hinterhältig.
Meine Schwester Sieglinde, dreizehn Jahre, will in den großen Schulferien nicht ihre Klassenkameraden sehen.
Meine kleine Schwester Sieglinde hatte kein besonderes Maltalent. Aber alles, was ich tat, tat sie mir getreulich nach. „Ech auch!“ war ja ihr geflügeltes Wort. Ab und zu hat es mir mächtig gestunken, immer Jemanden hinter mir her zu haben, der mir alles abguckte, und beim Malen hielt ich manchmal etwas vor mein Bild, um vor ihren nacheifernden Blicken geschützt zu sein.
Meine Mutter macht den Vorschlag, unsere Puppenstube und überhaupt alle Puppenspielsachen zu verschenken. Ich, 19, meine Schwester, 17 Jahre alt, haben nichts dagegen. Desinteressiert nicken wir zu ihrem Vorhaben. Da flippt aber Volker, zwölf Jahre alt, mächtig aus.
Kurz vor der Geburt des ersten Kindes verschlägt es meine Schwester nach Edinburgh in Schottland. Ich halte mich ebenfalls für einige Monate dort auf, und wir leben uns in das schöne, interessante Land gemeinsam ein. Auch eine Taufe in der Christengemeinschaft wollen wir erleben, bevor der eben geborene Sohn Kieran selbst getauft wird.
Bevor Kieran in der Nacht gestillt wird, wird er fein trocken gelegt und hinterher, nach dem Stillen, noch einmal, denn da ist wieder alles nass. Gesättigt und zufrieden ruht er danach in Mamas Arm und schaut sie tief ernst und sinnend wie ein kleiner Weiser an.
Vier Wochen nach Kierans Geburt mache ich mit Eurythmisten in Edinburgh eine Eurythmieaufführung. Meine Schwester Sieglinde, die auch Eurythmistin ist, möchte gerne die Generalprobe sehen, um mir eventuell noch ein paar Verbesserungsvorschläge zu machen.
Kieran läuft und klettert schon mit 11 Monaten. Da Mutter und Vater nicht einig werden, ob er Deutsch (Sprache der Mutter, die kaum Englisch kann) oder Englisch (Sprache des Vaters und des Landes, in dem sie leben) lernen soll, überlassen sie es dem Kind, wie es sprechen will.
Kieran spricht noch nicht sehr viel. Er weiß aber schon sehr genau was er will, besser gesagt, was er nicht will.
Kieran lernt schnell, Dinge zu benennen. Er zeigt darauf und sagt „apple“, „ball“, „horsi“ und so weiter. Mit Erstaunen und Vergnügen bemerken wir, dass er nicht alle Dinge mit Namen benennt, sondern zu manchen einfach „nono“ (Nein-nein) sagt.
Kieran (1 1⁄2) will gerne einschlafen. Dabei stört ihn, dass sein Babybrüderchen einfach nicht aufhört zu weinen.
Kieran soll sich allmählich an den Topf gewöhnen. Aber er mag dort gar nicht sitzen bleiben. Er wird nicht gerne seiner Freiheit beraubt. Auch hat er keine Ahnung, was wir von ihm wollen, obwohl er uns sonst schon gut versteht. Gekränkt und unglücklich schaut er uns an.
Mit Kieran will ich zum Einkaufen. Da er schon tüchtig laufen kann und große Freude daran hat, will er ohne Kinderwagen los. Ich freue mich über seinen guten Willen und erlaube es. Im Obstladen kaufe ich unter anderem Bananen ein. Wir ziehen weiter. Kieran verlangt eine Banane und bekommt sie auch. Kaum hat er sie aufgegessen - wir sind bereits im nächsten Laden - verlangt er die nächste Banane. Mein Hinweis, eine Banane sei genug, wird nicht akzeptiert.
Kieran lässt sich von den größeren Kindern in den Wäschekorb setzen, den diese dann in voller Fahrt die Holztreppe runtersausen lassen.
Kieran klettert und läuft gerne auf Mäuerchen. Wir machen einen Spaziergang und laufen an einer zwei Meter hohen Mauer entlang. Kieran will da rauf: „Up there (Da rauf)“ verlangt er und deutet hinauf.
Beim abendlichen Theater um das Zubettgehen wehrt Kieran sich heftig.
Für Kieran ist es sehr wichtig, dass er bekommt, wonach ihn verlangt, denn sein Verlangen ist – wie alles an ihm – intensiv.
Nach eineinhalb Jahren wird Ossian, Kierans Brüderchen, geboren.
Ossian liegt auf der Liege im Esszimmer, schaut mit braunen Äuglein wie ein kleiner Weiser in weite Ferne und gibt die süßesten Flötentöne von sich.
Die schottische Großmutter (Nana) hat einen großen Busen. Kieran sitzt auf ihrem Schoß und fährt mit einem kleinen roten Auto darauf bergauf und bergab.
Kieran ist nicht älter als zwei Jahre. Der Vater läuft mit ihm die Treppe zur Wohnung hinauf. In einer Art Singsang zählt er im Steigen: „One, two, three, ...“ Ich empört: „Du bringst ihm ja schon das Zählen bei.“
Im großen Garten gibt es ein kreisrundes Mäuerchen, etwa 80 bis 100 cm hoch. Es sieht aus wie ein alter Brunnen, ist aber mit Erde gefüllt. Eine ziemlich breites Holzbrett ist wie eine Rampe oder Rutsche daran gelehnt. Kieran, drei Jahre alt, schiebt schwer schnaufend sein Dreirad das Brett hoch, setzt sich geschickt oben darauf und saust die Rampe herunter.
Ossians erster Geburtstag ist da. Er ist leuchtender Mittelpunkt und bekommt von Freunden und Verwandten viele Geschenke. Kieran ist noch zu klein, um zu verstehen, was Geburtstag ist. Er merkt nur, dass sich alles um Ossian dreht und nicht wie gewohnt um ihn.
Die Mutter liebt alles Schöne und gestaltet die Wohnung immer sehr stimmungsvoll. Auf dem Tischchen vor dem Sofa liegt ein besonders feines Deckchen.
Ossian ist ein geschickter kleiner Klettermax. Es ist schön anzusehen, wie das grazile Kerlchen balanciert und konzentriert das Gleichgewicht hält. Seine Eigenart ist, dass er niemals etwas Gewagtes tut, und immer gut abwägt, wie weit seine Kräfte reichen.
Kieran (vier Jahre) und Ossian (zweieinhalb Jahre) machen, wenn man sie bittet, Eurythmie vorzumachen, sofort bereitwillig ein wunderbares eurythmisches "L". Das ist für sie Eurythmie.
Wie kommt es, dass die schottische Kindergärtnerin der Buben mit allen Kindern so gut zurechtkommt?
Meine Schwester kommt überraschend mit Mann und drei Kindern zu Besuch. Ich habe für meinen Mann und mich ein Gratin im Ofen, das gut für vier Personen reicht. Für die drei Buben koche ich schnell Nudeln.
Meine Schwester will einkaufen gehen. Ihre Buben spielen im Sandkasten, und sie denkt, diese werden dort auch weiterhin friedlich für eine Weile bleiben. Sie verschwindet ungesehen durch die vordere Türe.
Mit Kieran und Ossian gehe ich spazieren. Wir wandern zu den Resten einer alten Burg hier in der Gegend. Dort angelangt ist vor einem Cafe ein Softeisautomat. Sofort wollen beide Buben ein Eis.
Kieran liebt die vier Jahre ältere Carolyn über alles. Seit aber sein Brüderchen Ossian aus den Windeln heraus ist und in der Gegend umhertapsen kann, ist dieser der erklärte Liebling von Carolyn, die ihn wie ein Engel bewacht und umsorgt.
Die Familie meiner Schwester zieht von Edinburgh nach Stuttgart. Die Kinder lernen sehr rasch Deutsch. Nur Severin, vier Jahre, weigert sich, deutsche Worte zu sprechen.
Meine Schwester geht mit ihren drei Buben in Stuttgart Schuhe kaufen.
Wir planen ein Gartenfest. Tische, Stühle, Geschirr, Decken und so weiter – alles ist schon draußen aufgebaut. Das Wetter ist herrlich warm, wenn auch etwas bewölkt. Leider ist Regen angesagt.
Ossian kommt vom Spielen gelaufen und springt seiner Mutter auf den Arm.
Kieran und Ossian haben etwas vor, bei dem sie eigentlich erst die Erlaubnis einer bestimmten Dame einholen müssen.
Diese kleine Geschichte ist wahrscheinlich nur für Eurythmisten verständlich. Ich bereite mich für die Eurythmiestunden mit Studenten vor. Vor mir habe ich die farbigen Zeichnungen der Eurythmiefiguren von Rudolf Steiner, die sogenannten Seelengesten, ausgebreitet. Sevi, vier Jahre, kommt dazu und schaut sie sich ebenfalls interessiert an.
Der Vater will mit der ganzen Familie einen Spaziergang machen. Die Söhne sind aus dem Alter raus, wo ihnen das Spaß macht.
Große Hitzewelle in Stuttgart! Kieran wirft uns auf dem Heimweg, von lauter Müdigkeit und Hitze frustriert, seinen Roller vor die Füße.
Kieran und Ossian sind sich nicht einig. Kieran: „Wir werden anthroposophisch erzogen.“
Die Mutter kocht in der Küche Mittagessen. Die drei Buben dekorieren das Wohnzimmer und führen Konversation mit Tante und Onkel aus der Schweiz. Diese haben natürlich Schweizer Schokolade mitgebracht.
Mein jüngster Neffe Severin ist bereits 17 Jahre alt. Die Zeit vergeht wie im Fluge. Er hat eine große Rolle in seinem Klassenspiel, die er wunderbar ausfüllt.
12.06.2022
Mein Bruder hat eine schweizer Freundin, deren neunjährige Tochter Damaris sich gar sehr sowohl ein Geschwisterchen als auch eine richtige Familie wünscht.
Die Trauung meines Bruders und der Mutter von Damaris auf dem Standesamt findet in Zürich statt. Ich bin als Trauzeugin neben dem Brautpaar anwesend, ein weiterer Trauzeuge natürlich und Damaris, die sich bei der köstlichen aber etwas salbungsvollen schweizer Standesamtzeremonie langweilt.
Wir begehen die Taufe von Clarissa, der dritten Tochter meines Bruders. Die Taufe findet in der Christengemeinschaft in Basel statt. Es ist still und feierlich, eine kleine Gemeinschaft von Freunden und Bekannten und auch ein paar Kinder sind anwesend, unser Taufkind verhält sich ruhig.
Taufen sind für meine drei schweizer Nichten etwas, das sie sehr lieben. Wann immer in befreundeten Familien ein neuer kleiner Erdenbürger getauft wird, sind sie gerne dabei und nehmen das Geschehen mit großer Anteilnahme auf. Inzwischen kennen sie den Ablauf der Taufe gut und spielen ihn immer wieder in unterschiedlich verteilten Rollen zuhause nach.
Ich möchte meine drei kleinen, bildhübschen Nichten fotografieren und hätte nicht gedacht, dass das so schwer ist.
Es war ein recht heißer Tag gewesen beim Kinderfest im Kindergarten, und nun naht mit ziemlich lautem Grollen ein Gewitter heran. Alexandra und Clarissa mögen absolut kein Gewitter und haben große Angst. Bald schreien sie herzzerreissend ...
Ich gehe mit den Töchtern meines Bruders, Sophia, vier Jahre, und Alexandra, zweieinhalb Jahre, spazieren. Plötzlich lautes, anhaltendes Gehupe. Eine italienische Hochzeitsgesellschaft fährt vorüber. Alexandra zuckt furchtbar zusammen.
Die drei Grazien sollen einen Spaziergang machen mit mir, der Tante. Große Debatte, was auf diesen Spaziergang mitgenommen werden darf. Mir persönlich wäre es am liebsten, sie würden nichts mitnehmen, was ich nach kurzer Zeit mit ziemlicher Sicherheit schleppen muss.
Die Schwierigkeiten sind mal wieder in vollem Gang. Die beiden Mädchen Sophia (sechs Jahre) und Alexandra (viereinhalb Jahre) sollen sich waschen. Sie haben die Badezimmertüre verriegelt, weil sie sich genieren und ich gebe von draußen die Anweisungen an sie weiter, welche mir von ihren Eltern aufgetragen wurden.
In letzter Zeit sehe ich meine Nichten nicht mehr so häufig, da ich nach Deutschland gezogen bin. Endlich bin ich aber mal wieder da und freue mich, sie wiederzusehen. Abends sitze ich lang an ihren Betten und massiere ihnen den Rücken. Sie lieben das sehr und können angeblich massiert besser einschlafen.
Mit Sophia und Alexandra übe ich ihre Zeugnissprüche auswendig aufzusagen.
Ich gehe mit den drei Mädchen meines Bruders spazieren. Sophia, acht Jahre, bestreitet die Unterhaltung und erzählt unter anderem einen Witz. „Nein, Sophia“, erhebt Clarissa, die Jüngste (vier Jahre alt), immer wieder Einspruch. „Des isch gar nit so gsi“, und dann erzählt sie den Witz selber.
Mittlerweile ist Sophia 20 Jahre alt und besucht mich für ein paar Tage. Da sie mit sehr wenig Gepäck reisen musste, bittet sie mich, ein paar Dinge von mir benutzen zu dürfen.
Sophia, die sich früher mokierte über die Anthroposophen, hat sich seit einiger Zeit entschlossen, an einer anthroposophischen Ausbildungsstätte, von deren Konzept sie sehr begeistert ist, eine heilpädagogische Ausbildung zu machen.
Ich lege die Unterhosen der Familie zusammen. Vom Wäscheständer auf verschiedene Häufchen. Es ist keine ganz einfache Arbeit, denn in der Familie sind fünf Frauen von verschiedener Größe und Breite vertreten.
Clarissa findet Alexandras Klassenlehrer sehr toll. Alexandra meint, nach ihm gefragt, etwas kühl: „S geiht so.“ Ihr gefällt dafür der Lehrer von Sophia besonders gut.
Sophia verfügt über ausgezeichnete soziale Fähigkeiten. Jetzt, da sie erwachsen ist, wird dies immer deutlicher. Sie kann wirklich überall zupacken und außerordentlich tüchtig sein. Kinder und alte Menschen kann sie gleicherweise verantwortungsvoll und selbstständig betreuen. Mit acht Jahren allerdings verärgert sie immer wieder die Familie, besonders ihre um etliche Jahre ältere, auch sehr tüchtige Halbschwester Damaris, mit wenig sozialem Reden und Gehabe.
Mit ungefähr drei Jahren beginnen die Kinder zu sich selbst „Ich“ zu sagen. Vorher benennen sie sich selbst mit ihrem Namen: „Simon geht spazieren.“ Sie fangen auch um diese Zeit herum an, viel „Nein“ zu sagen, und es kann so manche Kämpfe mit ihnen geben. Diese Zeit wird auch Trotzalter genannt. Auch fangen sie an, viel zu fragen. Zu allem haben sie ihr „Warum?“ oder „Wieso?“. Schematisch verläuft die Entwicklung natürlich nicht. Einiges von dem Beschriebenen kann aber an den Kindern um dieses Lebensalter herum wirklich beobachtet werden.
Meine griechische Namenschwester Stella (fünf Jahre) ist Griechin. Nachdem sie in ihrem vierten Lebensjahr mehr nach ihrer eigenen Regie in der Kindergarteneurythmie mitgewirkt hat, macht sie in ihrem fünften Lebensjahr schön mit. Vorher versammelte sie gern ein Grüppchen kleiner Damen um sich herum, um mit ihnen ihr eigenes Süppchen zu kochen.
Ich wünsche den Kindern vor den Ferien eine wunderschöne Weihnachtszeit. Christian, fünf Jahre: „Frau Hagel, mir kannst Du keine schöne Weihnachten wünschen, wir sind nämlich nicht zu Hause.“
Es ist Dezember und mal wieder Regenwetter.
Mit Erika verbindet mich ein gemeinsamer Weg. Sie kommt mit drei Jahren in den Kindergarten. Nach der ersten Eurythmie bittet mich die Kindergärtnerin, Erika vor der Eurythmie nicht mehr die Hand zur Begrüßung zu geben. Sie hätte sich nämlich zu Hause beschwert.
Wenn ich zur Eurythmie in eine Kindergruppe komme, sitzen die Kinder wartend im Kreis und spielen verschiedene Fingerspiele. Ich gehe zu jedem Kind, um es zu begrüßen. Mit jeder der elf Gruppen, die ich in der Woche besuche, hat sich ein anderes kleines Ritual ergeben.
„Und dass nur geschieht, was geschehen muss!“
Manche finden die Eurythmie aufregend – Manche Kinder lassen mich im Stich – Manche Kinder finden die Eurythmie schön.
Hermann, sechs Jahre alt, kräftig und rotlockig, bittet mich eines Tages, in der Eurythmie zuschauen zu dürfen. Er sei zu müde um mitzumachen.
Dies ist die Geschichte meiner großen Blamage, welche ich erlitt, als ich mich bereit erklärte, die Kinder einer Kindergartengruppe draußen im Sandkasten zu hüten. Ich wollte der Kindergärtnerin ermöglichen, in Ruhe etwas zu erledigen. Und als sie nach noch nicht einmal zehn Minuten zurückkam, weinten vier Kinder bitterlich. Und das kam so.
Die Eurythmiestunde schließen wir mit einem kleinen Stern ab (ein „E“ mit gekreuzten Fingern), der von oben die Himmelsleiter zu uns herniedersteigt, und den wir im Herzen bewahren.
Hand in Hand ziehe ich mit den Kindern in den Eurythmiesaal. Wir fahren in einem großen Schiff, umkreist von Möwen, die, wenn das Schiff angekommen ist (da stehen wir dann im Kreis) sich auf Busch und Baum niederlassen und sachte ihre Flügel an die Seite legen. Ohne ein solches Bild patschen Arme und Hände der Kinder oft extra laut an den Körper herab.
Ludwig und David, beide fünf Jahre alt, sind gute Freunde. Zumindest sind sie meistens Freunde. Ab und zu sind sie genau das Gegenteil und bekämpfen sich.
Ludwig stört die Eurythmie, indem er umhergeht und den Kindern etwas ins Ohr flüstert. Ein Kind wehrt sich empört.
Rosa, die kleine Schwester von David erzählt fröhlich: „Frau Hagel, der Jonas ist heute krank. Er hat dem Papa aufs Kopfkissen gekotzt.“ „Oh!“ mache ich erschrocken und sage: „Da ist es ihm aber sehr plötzlich schlecht geworden.“ „Ja!“ Rosa nickt und strahlt. „Ganz plötzlich.“
Und: Ein kleines Licht – Viel Energie – Schnöde Vertreibung.
Walter, vier Jahre, ist ein rundliches und etwas schwerfälliges Kind. Als ich in den Kindergartenraum komme, um die Kinder zur Eurythmie zu holen, klagt er: „Ach, wieder Eurythmie, ich mag nicht Eurythmie machen!“
Es ist schon recht herbstlich und die Äpfel reifen an den Bäumen. In der Kindergarteneurythmie greife ich das Thema auf und eurythmisiere mit den Kindern das Gedicht vom schlafenden Apfel.
Und: Prioritäten – Provokation.
Und: Früh übt sich, wer ein Meister werden will.
Eine Freundin fand einmal, als wir zusammen im Wald einen Spaziergang machten, einen sehr eindrucksvollen Stein. Zuhause drehte und wendete sie den Stein längere Zeit hin und her und verlangte plötzlich mit einem leisen Lächeln Farbstifte. Und dann holte sie aus dem Stein einen Zwerg heraus, den sie darin erkannt hatte.
Und: Die Kleinen nehmen alles wahr – Innen und außen.
Und: Pfeifkonzert – „Wie hältst Du’s mit der Religion?“
Gerührt denke ich manchmal an die erste Eurythmiestunde mit Jeremias, als er mit drei Jahren und winzig klein zu uns kam. Da weinte er herzzerreißend, als ich in seiner Kindergruppe erschien, war doch alles so neu für ihn, und nun kam die Frau Hagel dazu und wollte mit den Kindern Eurythmie machen.
In einem für mich neuen Kindergarten hatten wir in unserer ersten Eurythmiestunde drei Pferdchen im Stall gehabt, ein weißes, ein braunes und ein schwarzes. Eines der Kinder hatte gewusst, wie man das weiße Pferdchen nennt: „Einen Apfelschimmel“.
Marc wird bald schon sechs Jahre alt, und er verliert ein wenig von der farbigen Phantasiekraft, welche ihm vorher zueigen war. Manchmal kommt nun von ihm ein leicht ironischer Kommentar zu dem Bild in einer Geschichte: „Ach, das gibt’s doch garnicht.“
Und: Eine Aufgabe für mich. – Schon wieder? – Annähern.