Zum Thema Leiharbeit und Werkverträge – Der kleine Mann (der Tarifbeschäftigte) hat längst den ganz kleinen Mann (den Leiharbeitersklaven) unter sich


von Ingo Hagel 

 

Die deutschen Autobauer hatten 2011 ein sehr gutes Jahr und schütteten daher in 2012 hohe Prämien an ihre Mitarbeiter aus. Die Süddeutsche schrieb:

Die etwa 90.000 Tarifbeschäftigten in den sechs westdeutschen Werken bekommen rückwirkend für 2011 einen Rekordbonus von 7500 Euro. Das sind insgesamt fast 700 Millionen Euro.

Leider vergaß die Süddeutsche zu berichten, dass die bei VW Angestellten Leiharbeiter diese Prämie nicht erhielten. Sie musste sich von Leser-Kommentaren auf diesen Sachverhalt aufmerksam machen lassen: Der Leser „bundestrojaner“ bemerkte trocken:

Leider werden nur die Festangestellten in den Genuss dieser Prämien kommen. Es sei ihnen gegönnt. Aber das ständig wachsende Heer der Leiharbeiter muss sich mit halben Lohn, längerer Arbeitszeit, weniger Urlaub und fehlender Planungssicherheit begnügen.

Das ist richtig, wie Dradio mit Blick auf die Verhältnisse bei BMW schreibt:

18 Euro Stundenlohn erhalte etwa ein Mitarbeiter der Stammbelegschaft, während ein Leiharbeiter mit 7,50 Euro nach Hause gehen müsse, ….

Und Leserin Tilde Kramer schreibt in NWZonline:

Die Autobauer Daimler, VW und Co. mögen mit Rekordgewinnen „glänzen“ können. Doch mit der geplanten Prämienauszahlung an die Beschäftigten können sie das keinesfalls! Was für die feste Belegschaft der „Schlag Sahne oben drauf“ sein wird, ist für Tausende und Abertausende Leiharbeiter die bittere Pille! An die Leiharbeiter werden keine Prämien ausgezahlt. Zählen sie nicht zu den Mitarbeitern? Gerade die Leiharbeiter ziehen doch den Karren aus dem Dreck! Leiharbeiter werden (…) wie Menschen 2. Klasse behandelt. (…) Taktzahlen am Band werden (…) erhöht. Das geschieht ohne Rücksicht auf ältere und körperlich eingeschränkte Arbeitnehmer. Bei Hochkonjunktur werden Hunderte Leiharbeiter zusätzlich eingestellt. Ist der Umsatzboom gelungen und die Arbeiter geschunden, können sie wieder gehen. Von den bis zu fünfstelligen Sonderzahlungen pro Kopf werden sie keinen Euro sehen, denn ihre Köpfe gehören leider nicht dazu.

Abertausende Leiharbeiter“ ….. Auch das ist richtig, allein bei BMW sind es 11.000:

Diesen Vorwurf muss sich vor allem BMW gefallen lassen, das seinen Umsatz 2011 um knapp 14 Prozent, den Gewinn 2011 um mehr als 50 Prozent gesteigert hat, die Zahl der Mitarbeiter wuchs in dieser Zeit aber nur um gut 5 Prozent, nämlich um 4850. Nach Schätzung der IG Metall beschäftigt der Münchner Autobauer aber 11.000 Leiharbeiter, die weit schlechter bezahlt würden als die Stammbelegschaft, sagt Dieter Wetzel, zweiter Vorsitzender der Gewerkschaft: 

Das heißt, von den insgesamt 101.850 Mitarbeitern bei BMW sind 11.000 – also satte 10,8 % – Leiharbeiter. Nochmal die Süddeutsche (Hervorhebung IH):

Personalvorstand Horst Neumann lobte die Kollegen öffentlich für ihren besonderen Einsatz im vergangenen Jahr: „Die Volkswagen-Mannschaft hat eine hervorragende Leistung gezeigt. Das zahlt sich für jeden Tarifbeschäftigten aus.“ Betriebsratschef Bernd Osterloh verwies auf die Überstunden und Sonderschichten, die Mitarbeiter geleistet haben.

Personal Vorstand Horst Neumann spricht offenbar nicht für alle der „Volkswagen-Mannschaft“, sondern nur für die „Tarifbeschäftigten“. Haben denn nicht auch die Leiharbeiter einen besonderen Einsatz geleistet? Gehören Sie denn nicht zu der Volkswagen Mannschaft, die eine hervorragende Leistung gezeigt hat – und verdienen diese Prämie, wenigstens anteilsmäßig für die geleistete Arbeitszeit im Werk?

Es ist ja sicher richtig, dass in Zeiten unsicherer und stark schwankender Märkte die Unternehmen mit dem Einsatz von Leiharbeitern in schlechten Zeiten ihre Stammbelegschaft weitgehend halten können. Wäre es dann aber nicht wenigstens ein Gebot der Fairness, Menschen, die zwar nicht die Sicherheit des Arbeitsplatzes wie Tarifangestellte haben, jedoch gleiche Arbeit verrichten, wenigstens eine gleiche Prämie wie den Festangestellten zu gewähren?

Und wo bleibt die früher gerühmte Solidarität der festangestellten Arbeiterschaft bei diesem Skandal nicht nur einer einer ungleichen Lohn- sondern auch Prämienausschüttung? Was für ein beschämendes Signal an die Unternehmerschaft wäre es gewesen, wenn die Festangestellten gesagt hätten: „Wenn Ihr Unternehmer schon nicht die Menschlichkeit habt, die Leute, die für Euch schuften, gerecht zu entlohnen, dann haben wir sie: Wir verzichten auf einen Teil unserer Prämie, damit auch die Leiharbeiter diese erhalten.“ Aber leider ist es so, wie Volker Pispers es (bei 9:35) beschreibt, dass der kleine Mann (der Tarifbeschäftigte) längst den ganz kleinen Mann (den Leiharbeitersklaven) unter sich hat.

 

Natürlich ist die Wirtschaft von diesem Leiharbeitermodell begeistert und wollen es auf andere Industriezweige ausdehnen: Umsonst haben die Arbeitnehmervertreter gegen die Einführung von Leiharbeitern bei der Lufthansa geklagt.

Das Arbeitsgericht in Frankfurt erlaubt dem Flugzeugkonzern den Einsatz von 200 Zeitarbeiterinnen als Stewardessen.

Na klar, das Recht ist auf der Seite der Wirtschaft, denn dieser sogenannte Rechtsstaat ist eng mit der Wirtschaft verbunden. Deshalb ist es eben so nötig, dass dieser Rechtsstaat neu begründet wird und dass Angelegenheiten wie zum Beispiel die Lohnfrage, die ja – wie oben deutlich wird – das Verhältnis von Mensch zu Mensch betrifft, aus dem Wirtschaftsleben herausgegliedert werden. Das Wirtschaftsleben will alles zur ausbeutbaren Ware machen, auch die menschliche Arbeitskraft. Menschliche Arbeitskraft darf aber niemals zur Ware gemacht werden.

Ganz harte Vorstöße dazu seitens der Wirtschaft dazu gibt es genügend:

In einer Pressemitteilung vom 4. April 2012 schlägt Ryanair ernsthaft vor, Fluglotsen europaweit unter Militär- oder Polizeirecht zu stellen und ihnen das Streiken zu verbieten.

Noch hält das deutsche Streikrecht gegen solche Vorschläge, aber wie lange noch? Diese Vorschläge zeigen aber die grundsätzliche Einstellung des Wirtschaftslebens, alles an Menschenrechten aus dem Weg zu räumen, was der ungehemmten und krebsartig wuchernden Tätigkeit des Unternehmens, Waren zu produzieren, im Wege steht.

Zwar sind für die Leiharbeit die Regeln strenger geworden. Aber „Unternehmen aus dem Handel und der Industrie wissen sie zu umgehen“, das heißt sie erarbeiten Methoden,

mit der Unternehmen ihre ohnehin schon billigen Leiharbeiter durch noch billigere Beschäftigte ersetzen können. …. Neben solchen Spitzen verteilt Rieble konkrete Hinweise, mit denen die Neuregelungen umgangen werden können. Und zwar mithilfe von Werkverträgen: Unternehmen übertragen wichtige Tätigkeiten auf Subunternehmen, zum Beispiel lagern Supermärkte das Einräumen der Regale aus. Die Subunternehmen werden pro »Werk« bezahlt, beispielsweise für jede Palette Ware, die ihre Mitarbeiter in die Regale räumen. Statt Leiharbeiter reinzuholen, lagern Supermärkte die Arbeiten also aus – juristisch betrachtet, ist das der Grund, warum für die Regaleinräumer nicht einmal die Tarife für Leiharbeiter gelten.   (Hervorhebungen IH) 

 

Arbeit darf keine Ware sein

Die schädlichen Auswirkungen des Wirtschaftslebens, das ja in allem, also auch in der menschlichen Arbeitskraft, nur eine Ware sehen kann, sind von außerhalb des Wirtschaftslebens zu begrenzen. Daher muss eben alles, was Verhandlungen über die Zuwendungen der Menschen innerhalb einer Wirtschaftsinstitution (Firma, Unternehmen etc.) sind, aus dem Bereiche des Wirtschaftslebens heraus gegliedert werden in das Rechtsleben hinein. Tarifverhandlungen dürfen überhaupt nur noch auf dem Boden des Rechtslebens stattfinden, da Arbeit und eine Verhandlung über die finanzielle Zuwendung zu einer geleisteten Arbeit nicht mehr etwas sein darf, was auf dem Boden des Wirtschaftslebens verhandelt werden darf. Denn dieses Wirtschaftsleben hat eben nur und allein zu tun mit der Warenproduktion, dem Handel von Waren und dem Verbrauch von Waren (Konsum). Die menschliche Arbeitskraft darf aber niemals als Ware betrachtet werden. Das obige Beispiel der Leiharbeiter bei den Autobauern zeigt ja sehr deutlich, dass es sich um ein Verhältnis von Mensch zu Mensch und damit um ein Rechtsverhältnis handelt.

Mit Blick auf das oben angeführte Beispiel der Leiharbeiter bei BMW bestimmt sich dieses Verhältnis der Menschen zueinander dann leider in der Weise, dass der eine Mensch (Tarifangestellter) den üblichen Lohn + Prämie erhält, der andere Mensch (Leiharbeiter) nur den halben Lohn ohne Prämie. Man kann sich ausmalen, wie die konkreten menschlichen Verhältnisse und Begegnungen dieser beiden Menschengruppen (Tarifangestellte und Leiharbeiter) in der täglichen Arbeit am Band bei BMW aussehen.

Dass menschliche Arbeitskraft keine Ware mehr sein darf, zu diesem Gedanken wird sich die europäische Menschheit durchringen müssen, wenn sie nicht in einer völligen Ausnutzung und in einem rücksichtslosen Verschleiss durch das Wirtschaftsleben zugrundegehen will. Die ersten Anzeichen dieses Zugrundegehens sehen wir ja in den südlichen Ländern Europas, wo die Jugendarbeitslosigkeit einen Wert von 58 Prozent erreicht hat. Ich habe immer wieder hier auf Umkreis Online über diesen Unsinn der Arbeitslosigkeit geschrieben. Es gibt keine Arbeitslosigkeit, es gibt genügend Arbeit in unseren Gesellschaften, es gibt nur zu wenig bezahlte Arbeit. Dort liegt das Problem. Es handelt sich um ein Verteilungsproblem des von allen Menschen in einem Unternehmen gemeinsam Erwirtschafteten.

Auf die Gewerkschaften dürfen die Arbeiter wohl kaum hoffen, denn der DGB betreibt selbst eine Zeitarbeitsfirma, Weitblick mit Namen, mit der er ordentlich Gewinn gemacht hat:

Erstaunlich also, dass der DGB mit der Vermittlung von Leiharbeitern Geld verdient. Im Jahr 2011 hat Weitblick immerhin einen Gewinn von 850.000 Euro gemacht – mit dem Übertrag aus dem Vorjahr lag der Überschuss sogar bei 3,2 Millionen Euro.

und weiter:

Besonders pikant aber ist die Tatsache, dass die Firma zwar den Gewerkschaften gehört, aber seit dem 1. Mai 2006 unter der Mitgliedsnummer 15608 auch im Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ) registriert ist – dem Arbeitgeberverband der Branche. Für den Tarifvertrag in der Zeitarbeitsbranche hat der DGB also quasi mit sich selbst verhandelt.

Die unabhängige Hafenarbeitergewerkschaft Contterm hat auf die DGB-Geschäfte aufmerksam gemacht, Gewerkschaftssekretär Sascha Schomacker spricht von einem Skandal. „Wie können die Einzelgewerkschaften im DGB glaubhaft Tarifverträge mit dem Arbeitgeberverband IGZ aushandeln, wenn der eigene Dachverband mit einer eigenen Firma in ihm vertreten ist“, fragt Schomacker.

Selbstverständlich ist die Tatsache, dass eine Gewerkschaft eine Zeitarbeitsfirma betreibt nichts weniger als ein Skandal. Man wird also auf die Ideen des DGB mit Blick auf die Abschaffung der Zeitarbeit kaum rechnen dürfen. Und ebensowenig auf die Ideen sonstiger „Wissenschaftler, Gewerkschafter und Politiker“:

Wissenschaftler, Gewerkschafter und Politiker fordern 30-Stunden-Woche – Ideenbankrott der „Eliten“: Man müsse “die Ware Arbeitskraft verknappen” – Denn: Arbeit darf keine Ware sein!

 

 

 

Hat Ihnen dieser Artikel etwas gegeben? Dann geben Sie doch etwas zurück und unterstützen Sie meine Arbeit hier auf Umkreis Online durch eine

Spende!

Das geht sehr einfach über einen Bankeinzug oder über PayPal.

 

 

 


Zum Thema Leiharbeit und Werkverträge – Der kleine Mann (der Tarifbeschäftigte) hat längst den ganz kleinen Mann (den Leiharbeitersklaven) unter sich wurde am 12.02.2013 unter Politik, Soziale Frage veröffentlicht.

Schlagworte: , , , ,