Rudolf Steiner: Man muss nicht selber Geistesforscher werden

 

Aus Nr. 335 der Rudolf Steiner Gesamtausgabe, Seite 195:

Allerdings, zwei Forderungen über die Wege der Seele waren dazumal in dieser «Philosophie der Freiheit» gegeben. Die eine Forderung war, dass man sich nicht befriedigen dürfe mit dem Denken, das heute populär ist, das populär ist im alltäglichen Leben, populär ist in der Wissenschaft, sondern dass man aufsteigen müsse zur Heranerziehung desjenigen im Menschen, was die neue Zeit will: zu einem Denken, das aus seinem eigenen Urquell in der Seele des Menschen fließt, zu einem Denken, das in sich selbst lichtvoll und klar ist. Und hier muss ich wiederum aufmerksam machen – nicht achtend, dass mich der Vorwurf treffen kann, dass ich Schwerverständliches sage -, hier muss ich darauf aufmerksam machen, wozu eigentlich die traditionelle Erziehung führt im Menschenleben: sie führt zum Gegensatz dessen, was ich als eine notwendige Zukunftsforderung in meinem letzten Vortrag hier beschrieben habe. 

Wenn ein Mensch sich heute durch nichts anderes ausbildet als durch das, was ihm zufließen kann aus dem Traditionellen der Bekenntnisse und aus der neueren naturwissenschaftlichen Ideenwelt, wenn er seine Gedankenformen des Alltags auf nichts anderes gründet als auf dasjenige, was er aus den Darstellungen naturwissenschaftlicher Weltanschauung, aus der populären Literatur, aus der Literatur überhaupt, aus Journalismus und Zeitungswesen hat, dann, meine sehr verehrten Anwesenden, dann wird der Mensch Materialist. Warum wird er Materialist? Er wird Materialist aus dem Grunde, weil er sein Denken ja nicht befreit von der Leiblichkeit, weil er nicht danach trachtet, jenen Quell in seiner Seele zu finden, der loslöst die Seele von der Leiblichkeit; dadurch aber verfällt der Mensch im Leben in Abhängigkeit von der Leiblichkeit. 

Warum sind wir heute Materialisten? Nicht aus dem Grunde, weil wir falsch das Leben interpretieren, sondern weil wir falsch leben. Wir leben und wir erziehen unsere Kinder so, dass sie nicht mit der Seele denken, sondern dass sie nur mit dem Gehirn denken, denn das Gehirn kann ein Abdruck werden des Denkens. Wir schalten die Seele aus und denken mit dem Gehirn. Kein Wunder, dass wir dann auch über dieses Denken so reden, als ob es abhängig sei vom Gehirn; es ist für den größten Teil der Menschen heute abhängig vom Gehirn. Die Menschen sind materialistisch, weil sie materiell geworden sind mit ihrem ganzen Leben, weil sie nicht danach trachten, die Freiheit zu erringen durch ein Denken, das sich loslöst von der Leiblichkeit, das leibfrei wird – wenn ich diesen Ausdruck heute gebrauchen darf, den ich oftmals gerechtfertigt habe. Derjenige, der im Sinne der heutigen Zeitforderung sich selbst entwickeln will, der muss das Denken loskriegen von der Leiblichkeit. Er muss das Denken zu einer in sich selbst bestehenden, freien Beweglichkeit des Seelischen umformen. Er muss wissen, was es heißt: denken in dem bloßen Gedanken drinnen, nicht denken so, dass das Gedachte nur das Ergebnis des Gehirns ist. 

Die Frage ist heute ein Unding: Ist das Denken nur ein Ergebnis des Gehirns oder nicht? – Es ist Ergebnis des Gehirns, wenn wir es nicht erst loslösen von diesem Gehirn. Hier weise ich hin auf einen ganzen Knäuel von Irrtümern, in die die heutige Menschheit verstrickt ist, denn wir sind heute durch dasjenige, was sich die Menschheit im Laufe der geschichtlichen Entwicklung errungen hat, in der Lage, unser Denken bei voller, lichter Klarheit loszulösen von der Leiblichkeit. Wie löst man es los? Nicht etwa dadurch – das habe ich auch schon oftmals betont -, dass man unweigerlich selber Geistesforscher werden müsste, obwohl bis zu einem gewissen Grade jeder es werden kann, wenn er beachtet, was in meinem Buche «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», in meiner «Geheimwissenschaft» und anderen dergleichen Büchern steht, aber man braucht das nicht einmal. Man braucht nur entgegenzunehmen vom Geistesforscher dasjenige, was er der Welt zu sagen hat – so wie man vom Astronomen, vom Chemiker, vom Physiker dasjenige entgegennimmt, was der Astronom, der Chemiker, der Physiker zu sagen hat. Man braucht nur heranzugehen an dieses Entgegenzunehmende mit seinem gesunden Menschenverstand. Aber man wird dann eine gewisse Entdeckung machen. Man wird die Entdeckung machen: Wenn du noch so lange mit deinem bloß an der Naturwissenschaft, an dem heutigen Leben herangezogenen Denken, mit deinem materiellen Denken das verfolgst, was der Geisteswissenschafter sagt, dann erscheint es dir als Phantastik, als Schwärmerei, als etwas, was du ablehnen musst. Du begreifst erst das, was der Geistesforscher sagt, wenn du dir bewusst bist, dass das Denken losgelöst werden kann von der Leiblichkeit, dass du dich vertiefen kannst in dasjenige Denken, das hereingezogen ist aus geistigen Welten heraus bei der Geburt oder der Empfängnis, das hineinziehen wird in geistige Welten, wenn du durch die Pforte des Todes gehst.Loslösung des Denkens von der Leiblichkeit ist ein erstes großes Ziel auf jenen Wegen, die verfolgt werden müssen von der Seele im heutigen Leben.  

 

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Rudolf Steiner: Man muss nicht selber Geistesforscher werden wurde am 26.06.2017 unter Hide veröffentlicht.

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