Rudolf Steiner zu dem deutschen Philosophen Fichte, der sagte, daß die meisten Menschen sich lieber für ein Stück Lava im Monde als für ein Ich halten würden

 

(GA 117 S. 153) 

Wenn man diese anthroposophische Bewegung 

(definitiv zu unterscheiden von der Anthroposophischen Gesellschaft, weil die anthroposophische Bewegung mittlerweile von der anthroposophischen Gesellschaft getrennt existiert; Anmerkung IH) 

charakterisieren will von diesem Gesichtspunkte aus, so muß man so sagen: Ihr Charakter ist dieser, daß sie den Menschen hinführt, in rechtem Sinn dasjenige zu erfassen, was man das menschliche Ich, das innerste Glied der menschlichen Wesenheit nennt. Ich habe schon öfter darauf aufmerksam gemacht, daß Fichte mit Recht gesagt hat, die meisten Menschen würden sich lieber für ein Stück Lava im Monde halten als für ein Ich. Und wenn Sie nachdenken, wieviel Menschen es gibt in unserer Zeit, die sich überhaupt eine Vorstellung davon machen, was ein Ich ist, das heißt, was sie selber sind, dann würden Sie im allgemeinen zu einem recht traurigen Resultat kommen. 

Wenn diese Frage auftaucht, muß ich mich immer erinnern an einen Kameraden, den ich vor etwas mehr als dreißig Jahren hatte, und der dazumal als ein ganz junger Bursch vollständig infiziert war von der materialistischen Gesinnung. Heute ist es moderner, monistische Gesinnung zu sagen. Er war schon infiziert trotz seiner jungen Jahre von ihr. Er lachte immer, wenn es hieß, daß im Menschen etwas enthalten sei, was man als geistige Wesenheit bezeichnen kann; denn er war der Anschauung, daß das, was als Gedanke in uns lebt, hervorgebracht werde durch die mechanischen oder chemischen Vorgänge im Gehirn. Ich sagte oft zu ihm: Sieh, wenn du das ernsthaft glaubst als Lebensinhalt, warum lügst du fortwährend? – Er log in der Tat fortwährend, denn er sagte niemals: Mein Gehirn fühlt, mein Gehirn denkt, sondern: Ich denke, ich fühle, ich weiß dies oder jenes. – Also er stellte sich eine Theorie auf, der er mit jedem Wort widersprach, wie es ja jeder Mensch tut; denn es ist unmöglich, festzuhalten dasjenige, was man sich einbildet als eine materialistische Theorie. Man kann nicht wahrhaftig bleiben, wenn man materialistisch denkt. Wenn man sonst sagt: Mein Gehirn liebt dich -, dann dürfte man nicht sagen «dich», sondern: Mein Gehirn liebt dein Gehirn. – Diese Konsequenz machen sich die Leute nicht klar. Aber es ist tatsächlich etwas, das nicht bloß humoristisch ist, sondern etwas, das zeigt, welcher tiefe Untergrund von unbewußter Unwahrhaftigkeit auf dem Grunde unserer gegenwärtigen Geistesbildung ist. 

Die meisten Menschen würden sich wirklich lieber für ein Stück Lava im Monde halten, das heißt für eine zusammengebraute Materie, als für dasjenige, was ein Ich genannt werden kann. Und am wenigsten kommt man natürlich heute durch äußere Wissenschaft, die ja als solche nach ihren Methoden materialistisch denken muß, zu einem Erfassen des Ich. Dieses Erfassen des Ich, wodurch kann es der Mensch erreichen? Wodurch kann er nach und nach auch einen Begriff, eine Idee von demjenigen erhalten, was er instinktiv fühlt, wenn er ausspricht: Ich denke? – Einzig und allein dadurch, daß er an der Hand anthroposophischer Weltanschauung erkennt, wie sich diese menschliche Wesenheit zusammengliedert, wie der physische Leib Saturncharakter, der Ätherleib Sonnencharakter, der astralische Leib Mondcharakter und das Ich Erdencharakter hat. Wenn wir alles das ins Auge fassen, was wir da an Ideen zusammenholen aus dem ganzen Weltenall, dann begreifen wir, wie das Ich als der eigentliche Werkmeister an allen andern Gliedern arbeitet. Und so kommen wir nach und nach auch zu einem Begriff von dem, was wir vertreten mit dem Worte «Ich». 

Zu dem höchsten Begriffe von diesem Ich ringen wir uns allmählich hinauf, wenn wir verstehen lernen ein solches Wort. Nicht bloß fühlen wir uns als ein geistiges Wesen, wenn wir uns in einem Ich drin fühlen, sondern wenn wir uns sagen können: In unserer Individualität lebt etwas, was da war vor dem Vater Abraham. – Wenn wir uns nicht bloß sagen können: Ich und der Vater Abraham sind eins -, sondern: Ich und der Vater, das ist das die Welt durchwebende und durchlebende Geistige. – Was im Ich lebt, ist dieselbe geistige Substanz, die die Welt durchwebt und durchlebt als Geistiges. So ringen wir uns allmählich hinauf, dieses Ich, das heißt den Träger der menschlichen Individualität, also dasjenige, was sich von Inkarnation zu Inkarnation zieht, zu verstehen.


Rudolf Steiner zu dem deutschen Philosophen Fichte, der sagte, daß die meisten Menschen sich lieber für ein Stück Lava im Monde als für ein Ich halten würden wurde am 17.02.2022 unter Hide veröffentlicht.

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