Zur Finanzkrise

 

von Ingo Hagel

 

Nicht „das Geld der Menschen“, sondern das der Banken wird geschützt…

Als Anfang Mai 2010 (auch mit Krediten des IWF) der 750 Milliarden Euro teure EU-Rettungsschirm für den angeschlagenen Euro beschlossen wurde, bezeichnete Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) diesen als alternativlos: „Wir schützen das Geld der Menschen in Deutschland“, sagte sie im Kanzleramt in Berlin. Das Paket sei notwendig, um die „Zukunft des Euro zu sichern“ (WELT Online, 10 Mai 2010).

Prof. Clemens Fuest (Berater von Finanzminister Wolfgang Schäuble) gab eine ganz andere Sicht der Motive: „Wir retten mit dem Paket und den EZB-Maßnahmen nicht nur Griechenland vor der Pleite, sondern vor allem unsere eigenen Banken. Deutsche und französische Institute besitzen griechische Anleihen in Höhe von über 30 Milliarden Euro. Die müssten sie abschreiben, wenn Athen zahlungsunfähig würde“ (FOCUS Online, 13. Mai 2010)Nicola Liebert in der taz teilte diese Ansicht: „Die Notkredite lösen eher die Probleme der Banken, bei denen Griechenland verschuldet ist, als die des Landes selbst. …. Eine Radikalsanierung der Staatsfinanzen ist zwar im Prinzip durchaus möglich. … Aber für Griechenland dürfte der Zug abgefahren sein.“

Auch Prof. Karl-Heinz Brodbeck war in einem Interview vom 11. Mai 2010 in der Mainpost überzeugt, dass die 750 Milliarden Euro letztlich die Banken bekommen. Diese erhalten damit die staatliche Garantie, weiterhin riskante Geschäfte ohne Risiko machen zu können. Weitere Aspekte des Interviews mit Prof. Brodbeck sind u.a.: Die Europäische Zentralbank EZB schürt die Inflation durch Aufkauf der wertlosen (toxischen) Staatspapiere – Brodbeck fordert strukturelle Änderungen im Finanzsektor (Beschneidung der Macht der Rating-Agenturen, Austrocknung des Derivatemarktes, Trennung zwischen Investment-Banking und dem Spar- und Kreditgeschäft) – die Regeln des IWF führen zur Verarmung der Bevölkerung – seine Sympathie mit den Isländern, die ein Rettungspaket abgelehnt und die Banken nicht ausbezahlt haben. Und Ex-Bundesbank-Chef Karl Otto Pöhl sagte in einem Interview in Spiegel Online vom 17. Mai 2010 mit Blick auf das Rettungspaket ebenfalls: „Ich glaube, es ging um etwas ganz anderes. … Es ging darum, die deutschen, vor allem aber die französischen Banken vor Abschreibungen zu bewahren. Französische Bankaktien sind am Tag, als das Paket verabschiedet wurde, um bis zu 24 Prozent gestiegen. Daran sieht man, worum es wirklich geht, nämlich um die Rettung der Banken und der reichen Griechen.“

 

Risiko für den deutschen Steuerzahler gering?

„Insgesamt soll sich Deutschland in den kommenden drei Jahren mit bis zu 22,4 Milliarden an dem Rettungspaket für Griechenland beteiligen. …. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bewertete das Risiko des Rettungspaketes für die deutschen Steuerzahler als gering. „Ich bin zuversichtlich, dass dem deutschen Steuerzahler kein Schaden entstehen wird, wenn das Programm konsequent umgesetzt wird“, sagte Schäuble“ (MDR vom 3. Mai 2010). Nur kurz nachdem das 750 Milliarden Euro schwere Rettungspaket für Griechenland und die EU beschlossen worden war, äußerte der Chef der Deutschen Bank Josef Ackermann (in Spiegel Online vom 13. Mai 2010) (wie viele andere bereits vor ihm) Zweifel, dass Griechenland die Hilfskredite an Deutschland jemals zurückbezahlen wird. Trotzdem sah er zu dem Rettungspaket keine Alternative.

Der ehemalige Bundesbankpräsident Karl Otto Pöhl meinte auf Spiegel Online jedoch, es hätte der EU-Kommission und der EZB „auffallen müssen, dass ein kleines, ein winziges Land wie Griechenland, noch dazu ohne industrielle Basis, niemals in der Lage sein wird, 300 Milliarden Euro Schulden zurückzuzahlen. …. Ohne einen „haircut“, also einen teilweisen Forderungsverzicht, wird und kann das nicht gehen. Warum also nicht gleich? Das wäre auch die Alternative gewesen. Die Europäische Union hätte schon vor einem halben Jahr oder noch früher verkünden müssen, dass die Schulden Griechenlands nun restrukturiert werden …. Man hätte die Schulden um ein Drittel zusammenstreichen können. Und die Banken hätten ihre Papiere dann eben um ein Drittel abschreiben müssen.“

 

Die Einlagen sind sicher?

Bereits 2008 hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel verkündet (Manager Magazin Oktober 2008): „Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind.“ Und Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) bekräftigte: „Ich möchte unterstreichen, dass wir dafür Sorge tragen wollen, dass die Sparerinnen und Sparer in Deutschland nicht befürchten müssen, einen Euro ihrer Einlagen zu verlieren.“ (Torsten Albig, Sprecher von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück, meinte damals: „Die Bundesregierung will auf jeden Fall verhindern, dass Geld in größerem Stil abgehoben wird“).

Abgesehen davon, dass diese Staatsgarantie für die Spareinlagen rechtlich unverbindlich blieben, haben bis jetzt zwar nicht die „Sparerinnen und Sparer“ sondern „nur“ Aktien- und Fondbesitzer Geld verloren. Menschen mit Sparguthaben werden die Euros aber auf anderem Wege verlieren. Denn nun drohen Inflation, (noch mehr) Kürzungen aller Etats der Bundesregierung, höhere Steuern und Abgaben. „Man kann nichts ausnehmen, auch nicht die sozialen Leistungen“, sagte Fraktionsvize Michael Meister der „Rheinischen Post“. „Wir müssen alle Subventionen und Leistungsgesetze auf den Prüfstand stellen.“ (Welt Online vom 25. Mai 2010).

Die WirtschaftsWoche vom 21. Mai 2010 berichtete von einem Brief, den Finanzminister Wolfgang Schäuble an die Abgeordneten der Regierungskoalition geschrieben hatte. Darin erläutert er Hintergründe des 750 Milliarden teuren Euro-Rettungspaketes und meinte mit Blick auf die seit langem sehr niedrige Inflation in Deutschland: „Diese Stabilität ist nun ein Stück weit in Gefahr.“ Schäuble meinte, es werde zu oft „Stabilität der Eurozone mit der Stabilität des Euro-Wechselkurses gleichgesetzt. Ziel unserer gemeinsamen Bemühungen ist aber nicht ein bestimmtes Wechselkursniveau.“ Er rechnet also mit einer weiteren Abwertung des Euro. Die Wirtschaftswoche schreibt: damit „verteuern sich allerdings auch die Rohstoff- und Energieimporte – der Preisdruck wird wachsen.“ Schäuble rechtfertigt das Rettungspaket: „Wir würden viel mehr Geld verlieren, wenn wir eine Krise zulassen würden, die wir politisch und ökonomisch nicht mehr beherrschen können.“ Die Wirtschaftswoche meinte, dass Schäuble damit sicher recht hat: „Aber damit ist auch klargestellt: Auch so werden wir viel Geld verlieren.“

 

Staatsverschuldung betrifft nicht nur Griechenland

In dem oben erwähnten Spiegel-Bericht fand sich jedoch keine Aussage von Deutsche Bank Chef Josef Ackermann zur Frage, ob denn Deutschland, das (wie Griechenland und viele andere Länder auch) astronomisch verschuldet ist (die Verschuldung von Bund, Ländern und Kommunen beträgt im Mai 2010 1,7 Billionen Euro), dieses Geld jemals wird zurückzahlen können.

Die jährliche Neuverschuldung steigt 2010 auf fast 90 Milliarden Euro: „Wir werden für jeden Bürger im kommenden Jahr mehr als 1000 Euro neue Schulden aufnehmen“, kündigte der ehemalige Finanzstaatssekretär Werner Gatzer im Juni 2009 an (FOCUS Online vom 19. Juni 2009). Nicht nur in Griechenland, auch in Deutschland ist die Verschuldung von Bund, Ländern und Kommunen enorm. Der Bund der Steuerzahler schreibt dazu: „Die Staatsschulden werden am Ende des Jahres 2010 die Höhe von knapp 1.800 Milliarden Euro erreicht haben. Zur Veranschaulichung dieser Zahl kann folgendes Beispiel dienen: Würden ab sofort keine Schulden mehr aufgenommen und würde die öffentliche Hand gesetzlich verpflichtet, jeden Monat eine Milliarde Euro an Schulden zu tilgen, so würde dieser Prozess rund 138 Jahre lang andauern müssen, um den Schuldenberg vollständig abzutragen. …. Der Staat muss heute jeden achten Euro, den er durch Steuern einnimmt, für Schuldzinsen ausgeben; der Bund sogar jeden fünften. Dieses Geld fehlt an anderer Stelle, um die eigentlichen Aufgaben des Staates zu erfüllen. …. Alleine in 2010 muss der Bund für Zinsen rund 38,2 Milliarden Euro ausgeben. …. Die Staatsverschuldung droht außer Kontrolle zu geraten, weil die Zinsbelastung für die Schulden der Vergangenheit die heutige Verschuldung in die Höhe treibt. Es müssen nämlich Kredite aufgenommen werden, um Zinsen zu zahlen.“

Die WirtschaftsWoche vom 14. Mai 2010 machte darauf aufmerksam, „dass Deutschland eigentlich noch viel unsolider dasteht als offiziell angegeben. Rechnet man die Schattenhaushalte und -lasten vom Erblastentilgungsfonds bis zu den ungedeckten Renten- und Pensionsverpflichtungen hinzu, dann schnellt die deutsche Staatsverschuldung von offiziellen rund 80 Prozent des Bruttoinlandsproduktes rasch auf 300 Prozent hinauf ….“

Kleiner Exkurs zum Erblastentilgungsfond: Die FAZ vom 28. Jan. 2009 schrieb zum Umgang der Regierung mit diesem Erblastentilgungsfonds: „Die Regierung verspricht damit mehr, als der Vergleich erlaubt. „Wer Schulden aufnimmt, muss sie zuverlässig tilgen“, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihrer Regierungserklärung zum zweiten Konjunkturpaket. … Wir haben im Übrigen beim Erblastentilgungsfonds bewiesen, dass wir das können.“ Er sei 1995 mit einem Schuldenstand von umgerechnet 171 Milliarden Euro eingerichtet worden. „Jetzt ist er getilgt“, sagte sie wörtlich. Dass der größte Teil der Last weiter im Schuldenbestand des Bundes schlummert, verschwieg sie.“ Die FAZ schreibt weiter: Der FDP-Finanzpolitiker Carl-Ludwig Thiele „nannte es einen unglaublichen Vorgang, dass Kanzlerin und der Kanzlerkandidat der größten Parteien Deutschlands der Öffentlichkeit erklären, der Erblastentilgungsfond sei getilgt, obwohl der ganz überwiegende Teil der Summe umgeschuldet worden sei. „Es ist schlichtweg abenteuerlich, wie hier auf der letzten Wegstrecke der großen Koalition getrickst wird“, sagte er der F.A.Z. „Jeder Bürger weiß, dass eine Schuld erst dann getilgt ist, wenn die Schuld auch tatsächlich nicht mehr besteht. Bei einer Umschuldung werden alte Schulden durch neue ersetzt.““

Schuldentilgungslüge

„Wer Schulden aufnimmt, muss sie zuverlässig tilgen“, wird Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in ihrer Regierungserklärung zum zweiten Konjunkturpaket von der FAZ vom 28. Jan. 2009 zitiert. Auch das Handelsblatt vom 21. Mai 2010 macht es sich rethorisch mit Blick auf die 50 Milliarden an Zinszahlungen,  die Finanzminister Schäuble für die Gesamtverschuldung des Staates mit seinem Etat jährlich zu leisten hat, einfacher als es in Wirklichkeit ist: „Die Ausgaben kann der Finanzminister ganz einfach senken, wie man das jedem Schuldner rät: Kredite tilgen und damit die Zinszahlungen reduzieren.“

Es dürfte aus dem bisher Geschilderten klar sein, dass mit dem Streichen von ein paar Subventionen oder einigen Etatkürzungen der gigantischen Summe der (Neu-) Verschuldungen nicht beizukommen ist. Dazu einige Zahlen aus Welt Online vom 23. Mai 2010, die einen Überblick über das überhaupt Mögliche mit Blick auf Subventionskürzungen des Staates geben: „Der Staat gibt für direkte Finanzhilfen pro Jahr etwa 6,8 Milliarden und für Steuervergünstigungen 17,6 Milliarden Euro aus.“ Macht zusammen 24,4 Milliarden Euro, wenn man die insgesamt streichen würde. Die Rede ist im Moment aber nur von geplanten Einsparungen von ca. 20 % dieser Summe, also rund 5 Md Euro, und selbst dafür ist der Protest von allen Seiten schon sehr groß. Die Frage muss also in nächster Zeit gelöst werden: Wie geht man mit der Staatsverschuldung um, wenn eine Tilgung illusorisch ist?

Staatsschulden annulieren

Einen Vorschlag dazu gibt Roland Rottenfußer in einem Beitrag der Zeitschrift Zeitpunkt (oder hier direkt zum PDF): „Die wichtigste Maßnahme, die zu ergreifen wäre, betrifft jedoch die Staatsverschuldung. Wie alle konkreten Taten muss sie im Denken vorbereitet werden und verlangt ein gewisses Maß an Mut: Wir müssen uns von der Schuldentilgungslüge verabschieden, ebenso wie wir uns von der Vollbeschäftigungslüge trennen müssen. Die Staatsschulden in der gegenwärtigen Höhe können nicht mehr zurückgezahlt werden, also sollte man den arbeitenden Menschen auch kein schlechtes Gewissen deswegen einreden. Diese sind durch ihre kollektive Zahlungsunfähigkeit lediglich Vollstrecker einer historischen Notwendigkeit geworden. Die Forderung, dass die Steuerzahler geliehenes Geld an Privat-Gläubiger zurückzahlen sollten, ist im Prinzip legitim; die Forderung, wir sollten über Generationen ein Vielfaches an Zins und Zinseszins berappen, so lange, bis uns die Luft zum Atmen ausgeht, ist allerdings nicht nur illusorisch, sie ist auch ethisch verwerflich. Wir brauchen endlich ein Insolvenzverfahren für den Staat, einen geordneten Zahlungsstopp nach dem Grundsatz: Schuldentilgung ja, Zinszahlung ab einem gewissen Umfang nein!“

Schon 2009 hatte Jürgen Elsässer ebenfalls in der Zeitschrift Zeitpunkt (oder hier direkt zum PDF) im Zuge der damaligen Finanzkrise eine detaillierte und verständliche Analyse der krankhaften Prozesse im Geldwesen veröffentlicht (der Text ist ein gekürzter Auszug aus seinem Buch „Nationalstaat und Globalisierung“). Anstatt dass sich die Staaten (und die Bürger) zur Stützung der maroden Banken immer weiter verschulden, schlug Elsässer deren Liquidierung vor: „Dabei geht es im ersten Schritt nicht um Verstaatlichung. Wenn der Staat faule Geldhäuser einfach übernimmt, verschleppt er die toxischen Kredite von deren Haushalt in den eigenen. Eine Marschroute für die Gefahrenabwehr gibt Wilhelm Hankel vor, in der ersten Amtsperiode von Kanzler Willy Brandt Staatssekretär im Bundesfinanzministerium: „Deswegen ist die einzig sinnvolle Reform, das in den Bankbilanzen ausgewiesene echte Geld (aus Kundeneinlagen und Kundenanlagen) vom unechten der Bankschulden und -kredite zu trennen.“ Anstatt dauernd Banken mit Geldern, für die der Steuerzahler bürgt, zu retten, sollten die irrealen Papiere dieser Banken „vollständig und entschädigungslos abgeschrieben werden, zu Lasten und also unter dem Geschrei der Spekulanten, die die entsprechenden Papierchen halten.“ Der Staat muss „alle Großbanken – private wie öffentliche – einem geordneten Liquidationsverfahren unterwerfen. Nur so kann festgestellt werden, welches Kapital gesundes Anlagekapital der Bürger war – und welches nur durch die unkontrollierte Geldschöpfung der Banken geschaffen wurde und annulliert werden muss.“

Wer glaubt, solche Vorschläge könnten nur aus irgendeinem linken Lager kommen, irrt: Auch Professor Steve Keen von der University of Western Sydney sagte in einem Interview in der FAZ: „Viele der Rettungsmaßnahmen, vor allem in Amerika, sind darauf ausgerichtet, das bestehende Finanzsystem zu retten. Es hat aber aufgrund von unverantwortlicher und ausgesprochen schlechter Kreditvergabe längst versagt. Die beste Lösung wäre, die bestehenden Schulden in der einen oder anderen Weise zu beseitigen. Eine Möglichkeit bestünde darin, sie einfach abzuschreiben. Das würde zum Konkurs der meisten Banken führen, die dann verstaatlicht und später schließlich reprivatisiert werden könnten. Eine andere Möglichkeit wäre die Entschuldung über einen inflationären Prozess.“


Zur Finanzkrise wurde am 27.05.2010 unter Finanzkrise veröffentlicht.

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