Freiheit durch Spiegel-Gedanken, durch reine Gedanken, die Maja sind  

 

von Ingo Hagel 

 

Die Einleitung zu diesem Artikel gibt es hier.  

Folgende Ausführungen haben zum Ziel, von einem geistigen, also anthroposophischen Aspekt aus diese Angelegenheit mit den Freiheit vermittelnden, ermöglichenden reinen Spiegelgedanken von Rudolf Steiners „Philosophie der Freiheit“ etwas besser zu verstehen. Einstiege dazu gibt es innerhalb der Ausführungen Rudolf Steiners viele. Ich verweise hier an dieser Stelle – nur zum Beispiel – auf seine Darstellung in der GA 179 S. 84:   

Man wird sich gestehen müssen, daß es allerdings eine tiefe Bedeutung hat, wenn man davon spricht, daß die Welt, die der Mensch zunächst durch seine Sinne und durch seinen Verstand kennenlernt, eine Maja ist. Sobald man an die wirkliche Welt herantritt, verhält sich allerdings die Welt, die man kennt, zu dieser wirklichen Welt so, wie das, was im Spiegel drinnen erscheint, zu dem sich verhält, was vor dem Spiegel ist als Lebendiges und sich im Spiegel bloß spiegelt.

 

„Wirkliche Welt“ heißt innerhalb der Anthroposophie natürlich immer: geistige Welt – 

also Imagination, Inspiration und Intuition. Von dem Standpunkt aus ist das also gesprochen, 

daß die Welt, die der Mensch zunächst durch seine Sinne und durch seinen Verstand kennenlernt, eine Maja ist.

So richtig, das heißt aus der eigenen geistigen Anschauung heraus, wird man das natürlich erst aus eben dieser geistigen Anschauung heraus verstehen. Aber auch ohne diese ist es überhaupt nicht so, dass man diesen Charakterisierungen Rudolf Steiners hilf- und verständnislos gegenübersteht. Man kann schon ohne diese geistige Anschauung der wirklichen geistigen Welt von Imagination, Inspiration und Intuition – 

das heißt aus dem ganz gewöhnlichen Bewusstsein heraus – 

verstehen, was er sagt. Das dauert manchmal etwas länger, weil der Mensch vor dem Kennenlernen der Anthroposophie natürlich der festen Überzeugung ist, dass er mit seinem Bild der Sinneswelt, an die sich dann die Begriffe des gewöhnlichen Bewusstseins knüpfen, in der Wirklichkeit steht. – 

Wir sind doch alles Praktiker – und was nicht passt, wird passend gemacht! –

Was aber natürlich nichts anderes als Maja ist. 

 

Wenn man sich also in seinem gewöhnlichen Bewusstsein durch seinen Verstand und sein Denken 

ein Bild von der wahrgenommenen Welt macht, dann ist das eben noch keine Wirklichkeit. Es ist ein Spiegelbild, dessen Realitäten woanders sitzen. Aber gerade darin liegt die Möglichkeit der Freiheit, weil diese Spiegelbilder der Welt den Menschen zu nichts zwingen können. Sie haben keine Macht. Also noch einmal und noch etwas ausführlicher GA 179 S. 84:  

Man wird sich gestehen müssen, daß es allerdings eine tiefe Bedeutung hat, wenn man davon spricht, daß die Welt, die der Mensch zunächst durch seine Sinne und durch seinen Verstand kennenlernt, eine Maja ist. Sobald man an die wirkliche Welt herantritt, verhält sich allerdings die Welt, die man kennt, zu dieser wirklichen Welt so, wie das, was im Spiegel drinnen erscheint, zu dem sich verhält, was vor dem Spiegel ist als Lebendiges und sich im Spiegel bloß spiegelt. 

Nun, wenn Sie hier einen Spiegel haben und dadrinnen sind verschiedene Gestalten, so weist das darauf hin, daß außerhalb des Spiegels Gestalten da sind, die sich spiegeln. Nehmen Sie an, Sie schauen in den Spiegel hinein als unbeteiligter Zuschauer. (Es wird gezeichnet.) Die zwei Gestalten, die ich da aufgezeichnet habe, die prügeln sich, das sehen Sie, die prügeln sich. Das weist zwar darauf hin, daß diejenigen Gestalten, die sich spiegeln, irgend etwas tun, aber Sie werden nicht behaupten dürfen, daß die Gestalt A im Spiegel dadrinnen die Gestalt B im Spiegel dadrinnen durchprügelt. Was da im Spiegel drinnen erscheint, das gibt das Bild des Prügelns, weil die Gestalten außer dem Spiegel irgend etwas tun. Sind Sie der Meinung, daß die Gestalt A, die da im Spiegel drinnen ist als Spiegelbild, der Gestalt B, die im Spiegel drinnen ist, etwas antut, dann sind Sie in einer ganz irrtümlichen Meinung befangen. Sie können nicht Beziehungen, Verhältnisse aufstellen zwischen den Spiegelbildern, sondern Sie können nur sagen: Das, was sich in den Spiegelbildern ausdrückt, das weist hin auf irgend etwas in der Welt der Wirklichkeit, die sich spiegelt. – Aber die Welt, die der Mensch als gegebene hat, ist ein Spiegel, ist eine Maja, und in dieser Welt redet der Mensch von Ursachen und Wirkungen. Wenn Sie in dieser Welt von Ursachen und Wirkungen reden, so ist das gerade so, wie wenn Sie glauben würden, daß das Spiegelbild A dadrinnen das Spiegelbild B durchprügelt. In den wirklichen Wesen, die sich spiegeln, geschieht etwas; aber in dem Spiegelbild A, in dem Spiegelbild B liegen nicht die Impulse des Sich-Prügelns. 

 

Auch die Handlungsimpulse, die aus reinen Gedanken folgen, 

sind eine Maja, das heißt sie sind abstrakt, sie sind noch keine wirksamen Realitäten, sondern Bilder, die für sich keine Antriebsmacht besitzen, die aber gerade deshalb die Freiheit des Menschen ermöglichen. Soll aufgrund dieser sinnlichkeitsfreien, leibfreien und daher freilassenden Reinen reinen Gedanken etwas geschehen, dann muss der Mensch das selber aus sich heraus in die Gänge setzen GA 179 S. 84:   

Das ist aber wiederum die eine Seite der Sache. Die andere wird Ihnen klar, wenn Sie bedenken, daß eigentlich im Vorstellungs- und Sinnesleben der wachen Wirklichkeit nur ein Spiegel des wahren Lebens, eine Maja gegeben ist. Diese Maja kann aber nichts bewirken. Diese Maja kann nicht im Stande einer Causa sein, irgendeine wirkliche Ursache sein. Der Mensch ist aber in der Lage, sich von seinen reinen Vorstellungen zu Handlungen bestimmen zu lassen. Das ist eine Erfahrungstatsache des Lebens, wenn der Mensch nicht durch Leidenschaften, Triebe, Begierden, sondern durch reine Vorstellungen getrieben wird. Das kann sein, und das ist möglich; der Mensch kann sich von reinen Idealen, von reinen Ideen impulsieren lassen. Aber die können selbst nichts bewirken. Ich kann also eine Handlung ausführen unter dem Einfluß einer reinen Idee; aber die Idee kann nichts bewirken. 

Vergleichen Sie noch einmal, um das einzusehen, die Idee mit einem Spiegelbild. Ja, das Bild im Spiegel, das kann nicht bewirken, daß Sie davonlaufen. Es muß Ihnen nicht gefallen, oder es muß etwas sein, was gar nicht mit dem Spiegelbild in irgendeiner Beziehung steht, wenn Sie davonlaufen. Das Spiegelbild selbst kann nicht eine Peitsche nehmen und bewirken, daß Sie davonlaufen. Das kann keine Causa sein. Wenn aber der Mensch unter dem Einfluß seiner Spiegelbilder, also seiner Ideen handelt, dann handelt er aus der Maja heraus, handelt er eben aus dem Weltenspiegel heraus: Er muß es sein, der handelt, deshalb handelt er dann frei. Wenn er seinen Leidenschaften folgt, handelt er nicht frei; nicht einmal, wenn er seinen Gefühlen folgt, handelt er frei. Wenn er seinen Vorstellungen, die bloß Spiegelbilder sind, folgt, handelt er frei. Aus diesem Grunde ist es, warum ich in der «Philosophie der Freiheit» ausgeführt habe, daß der Mensch, wenn er reinen Ideen folgt, dem reinen Denken folgt, ein frei handelndes Wesen ist, weil reine Ideen eben nichts bewirken können, also das Bewirken von anderswoher kommen muß. Ich habe diese Sache mit diesem Bilde noch einmal durchgeführt in meinem Buche «Vom Menschenrätsel». Gerade weil dasjenige, was uns zunächst umgibt, eine Maja ist, die nichts bewirken kann, wir aber unter dem Einflüsse dieser Maja handeln, sind wir freie Menschenwesen. Unsere Freiheit beruht darauf, daß unsere Wahrnehmungswelt Maja ist. Unser Wesen vermählt sich mit der Maja und ist dadurch ein freies Wesen. Wäre die Welt, die wir wahrnehmen, Wirklichkeit, dann würde diese Wirklichkeit uns zwingen, dann wären wir nicht freie Wesen. Wir sind freie Wesen gerade deshalb, weil die Welt, die wir wahrnehmen, nicht eine Wirklichkeit ist, daher uns auch nicht zwingen kann, ebensowenig wie uns ein Spiegelbild zwingen kann davonzulaufen. Darinnen beruht das Geheimnis des freien Menschen, daß man den Zusammenhang einsieht zwischen der Wahrnehmungswelt als einer Maja, der bloßen Spiegelung einer Wirklichkeit, und dem Impulsieren des Menschen durch sich selbst. Der Mensch muß sich selber impulsieren, wenn dasjenige, unter dessen Eindruck er handelt, ihn eben nicht bestimmt. 

Die Freiheit läßt sich streng beweisen, wenn man diesen Beweis auf der Grundlage sucht, daß die Welt, so wie sie als Wahrnehmung gegeben ist, ein Spiegelbild ist und nicht eine Wirklichkeit.

Beziehungsweise siehe hier (GA 179, S. 96):

Philosophisch habe ich eben versucht, diese Frage zu beantworten in meiner «Philosophie der Freiheit», indem ich damals zu zeigen bestrebt war, wie der Mensch nur dadurch in sich den Impuls der Freiheit realisieren kann, wenn er sein Handeln, sein Tun ganz unter den Einfluß des reinen Denkens stellt, wenn er dazu kommt, reine Gedankenimpulse zu seinen Handlungsimpulsen machen zu können, Impulse, die gar nicht herausentwickelt sind aus der äußeren Welt. Denn alles das, was aus der äußeren Welt entwickelt ist, läßt uns nicht Freiheit realisieren. Freiheit realisieren läßt uns nur dasjenige, was sich unabhängig von der äußeren Welt in unserem Denken als Antrieb unseres Handelns entwickelt.

Natürlich muss man dafür das verstanden haben, was Rudolf Steiner in der „Philosophie der Freiheit“ als Triebfedern und Motive des Handelns aufführt, und wie sich diese beiden im reinen Denken treffen. Aber das wird ja auch immer wieder von „Anthroposophen“ nicht verstanden, wie ich hier vor geraumer Zeit einmal ausführlich behandelt habe. 

 

Man darf also nach all den Mühen, die man mit dieser „Philosophie der Freiheit“ vielleicht unternommen hat, 

nicht fordern, dass dann im Ergreifen reiner Gedanken solche Impulse des Handelns über Einen kommen, die Einen mit derselben Unmittelbarkeit, wie sie zum Beispiel aus dem Triebleben kommen, zum Handeln antreiben. Wer das erwartet, dass das Studium der „Philosophie der Freiheit“ ihn nun aller eigenen Antriebe und Willensimpulse enthebt, weil er glaubt, nun seien es zwar nicht mehr die lästigen Triebe und Impulse aus dem eigenen Leibesleben, sondern die reinen Gedankenimpulse des ideellen Lebens, die allerdings auch so stark sein sollen, dass sie Einen mit sich reißen, der hat etwas missverstanden. Beziehungsweise er hat etwas, das er vielleicht aus seinem bisherigen Leben als mächtig wirksame, aber unfreie Impulse des Handelns aus seinen Trieben, Effekten und Leidenschaften kannte, ungerechtfertigterweise auf die „Philosophie der Freiheit“ übertragen. Sich zum Handeln entschließen und wirklich tun, das muss man selbst mit diesen Handlungsimpulsen aus reinen Gedanken immer noch selber vollbringen. Ansonsten wäre Freiheit ja eine Illusion (GA 179, S. 123): 

Was geschieht denn eigentlich, wenn der Mensch so recht eine freie Handlung vollzieht? Machen wir uns das einmal klar, was da beim gewöhnlichen physischen Menschen geschieht, wenn der Mensch aus moralischer Phantasie heraus (beschrieben in der „Philosophie der Freiheit“; Anmerkung IH) – Sie wissen jetzt, was ich damit meine -, aus moralischer Phantasie heraus, das heißt aus einem Denken, das von sinnlichen Impulsen, sinnlichen Trieben und Affekten nicht beherrscht ist, handelt, was geschieht da mit dem Menschen eigentlich? Dann geschieht das, daß er sich reinen Gedanken hingibt; die bilden seine Impulse. Sie können ihn nicht impulsieren durch sich selbst; er muß sich impulsieren, denn sie sind bloße Spiegelbilder, das haben wir ja betont. Sie gehören der Maja an. Spiegelbilder können nicht zwingen, der Mensch muß sich selber zwingen unter dem Einfluß der reinen Vorstellungen.

  

  

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