Zu geringe Wertschätzung für Ökoprodukte I

von Ingo Hagel

Nicht nur der biologisch-dynamische Landbau ist sowohl in ideeller als auch in praktischer Hinsicht (z.B. im Handel) für den Konsumenten kaum noch zu erkennen. Auch der Ökologische Landbau insgesamt bleibt mit seiner Entwicklung  – trotz seines guten und wichtigen Anliegens – weit hinter seinem Potenzial zurück. Nach einer Pressemitteilung des BÖLW im Januar 2010  nahm zwar nach einer mehrere Jahre dauernden Stagnation die Zahl der Öko-Betriebe in 2009 um 6 % zu – nach 86 Jahren Biolandbau macht diese Form der Landbewirtschaftung jedoch immer nur noch magere 5,9 % der gesamten Landwirtschaft in Deutschland aus. Und auch der Mengenabsatz von Bio-Produkten stieg zwar weiter an. Letzteres war jedoch nur durch insgesamt rückläufige Preise für Ökoprodukte zu erreichen (bereits in 2008 hatte Alnatura die Preise für 120 Lebensmitttel dauerhaft gesenkt, worüber zum Beispiel die taz berichtet hatte). „Der Bio-Fachhandel hat noch ein großes Wachstumspotenzial. …. Die Kunden schätzen das attraktive Bio-Sortiment und die kompetente Beratung im Bio-Fachhandel,“ sagte BÖLW-Vorstand Götz Rehn. In der Tat: so kann man die missliche Lage auch schönreden.

Wenn höherer Absatz nur mit sinkenden Preisen realisiert werden kann, ist offenbar die Wertschätzung der Verbraucher für Ökoprodukte zu gering. Die Branche hätte daher allen Grund, sich Gedanken über die Ursachen zu machen. Sicher sind diese vielschichtig. Eine der Ursachen wird durch einen Artikel im aktuellen Heft (von Mai/Juni 2010) des Magazins EVE („das moderne Naturkost-Magazin“), beleuchtet (oder hier im Heftarchiv suchen). Der Beitrag ist symptomatisch für den Zustand der Bio-Bewegung.

Öko-Nostalgie

EVE verbreitet – wie viele andere Öko-Journale auch – Ökoromantik pur: Unter dem Titel des Artikels „Ich bin ein Bio …Bauer“ werden drei Bio-Landwirte und eine Bio-Imkerin portraitiert. Auf einem ganzseitigen Foto trägt ein frisch eingekleideter Bauer in nagelneuen Gummistiefeln zwei Milchkannen – deren Inhalt nicht durch Deckel geschützt wurde – durchs malerische Ambiente. Sicher sind die verstaubten Rohrleitungen, die normalerweise auf einem Hof die warme Milch aus dem Stall in den großen Milchtank pumpen, nicht so attraktiv. Auf einem weiteren Bild werden mit einer Mistgabel Kartoffeln ausgegraben. Weiß der Verbraucher wirklich nicht, dass – auch auf Ökohöfen – Kartoffeln maschinell mit dem Roder geerntet werden? Ein nächstes Bild suggeriert, dass Eier offenbar mit vollen Händen inklusive anhaftendem Stroh aus dem Stall geschaufelt werden. Dass die Realität für Hühner auf Biohöfen meistens anders aussieht, monierte bereits  im Oktober 2009 in der Sendung Panorama der ökologisch wirtschaftende Hähnchenmäster Niels Odefey. Und in einem Artikel in der Zeitschrift bioHandel (Nr. 12/2009, S. 5) kritisierte er unter anderem, dass kein Ökobetrieb in Deutschland mehr – wie Odefey es tut – die braunen langsamwachsenden Küken verwendet: „Stattdessen arbeiten die hiesigen Bio-Mäster mit den schnellwachsenden weißen Masthybriden und mästen diese in 56 bis 63 Tagen – mit Ausnahmegenehmigung der Verbände. Denn die EU-Ökoverordnung sieht 81 Tage Mindestmastdauer vor. Dieser bewusste Missbrauch der Richtlinien  wird der Branche eines Tages um die Ohren fliegen, wenn sie sich nicht besinnt.“ Offenbar ist das alles an der Zeitschrift EVE vorbeigegangen. Wenn die Biobranche Wert auf Illusionen à la EVE legt, ist es klar, dass keiner für diese bunt schillernden Seifenblasen-Bio-Träume mehr bezahlen will.

EVE schreibt (und ich kommentiere einfach mal in deren Text hinein): „Wer ökologisch wirtschaftet ist ein Idealist (das klingt für viele sicher nach „weltfremdem Spinner“, aber na gut – wichtiger ist sicher, wie denn die Ideale konkret aussehen!) – und das aus Überzeugung (kann man denn – bitte sehr – Idealist ohne Überzeugung sein? Also zum Beispiel „Idealist aus Bezahlung“?). Denn in Sachen Arbeitszeit, Urlaubstage und Einkommen kann auch der Beruf des Bio-Bauern kaum punkten (dieses „punkten“ ist Ausdruck einer auch im Ökojournalismus weit verbreiteten Degenerierung der sprachlichen Mitteilungsmöglichkeit – dieser Jargon rührt aus dem Drang, dem Leser das ganze (Berufs-) Leben – das natürlich in möglichst wenig Arbeitszeit, vielen Urlaubstagen und hohem Einkommen bestehen soll –  wie eine Art juchzenden Beachvolleyball-Freizeitspaß darzustellen, für dessen „Performance“ in gewohnter Anspruchshaltung die Daumen nach oben oder unten gereckt und „Punkte“ vergeben werden). Doch diejenigen, die sich für diesen Weg entscheiden, werden reich belohnt durch eine intakte Umwelt (mit der „Umwelt“ ist wohl gemeint, dass diese wenigstens die Fläche des Öko-Hofes umfasst, oder?) und glückliche Tiere.“ (Ich hielt bis jetzt die Fähigkeit des Glückes nur auf den Menschen beschränkt, und selbst bei diesem nur für eine seltene, zarte und flüchtige Angelegenheit ….. ich habe daher große Schwierigkeiten, mir einen ganzen Stall voller „glücklicher“ Kühe, Schweine und Hühner vorzustellen…).

Für den Menschen ist nichts drin

Erstaunlicherweise arbeitet gemäß EVE auch der Demeter-Landwirt nur für das Glück seiner Tiere, denn zu diesem hat das EVE-Magazin nichts anderes bemerken können als: „365 Tage im Jahr steht es für Manfred Schmid an oberster Stelle – das Wohl seiner Tiere.“ Abgesehen davon, dass solche blödsinnigen Sätze gemeine und gedankenlose Unterstellungen der Empfindungen des Landwirtes mit Blick auf zumindest Frau und Kinder des Demeter-Landwirtes sind – aber da ist es mal wieder: Bio als Umwelt- und Tierschutzmaßnahme. Für den Menschen ist da nichts drin. Und EVE ist überzeugt, dass auch die Verbraucher so denken: „Heute zählen für Bio-Kunden ethische und Umweltaspekte.“ Damit keine Missverständnisse aufkommen: Ich schätze den Umwelt- und Tierschutz. Aber es täte der Ökobranche gut, sich Gedanken über das Wohl der Menschen zu machen. Denn wenn wirklich „nur“ das Wohl der Tiere an oberster Stelle steht und nicht das der Menschen, dann wird verständlich, dass sich so wenige Menschen für den ökologischen Landbau interessieren und nicht mehr Menschen für Bioprodukte mehr als für konventionelle bezahlen wollen.

Der Ökolandbau hat das Pech, dass er seine Produkte nicht an Tiere, das Klima, das Wasser und den Boden verkaufen muss, sondern an Menschen – und da stellt es sich heraus, dass er für diese offenbar zu wenig zu bieten hat. Denn auch der in EVE vorgestellte Öko-Landwirt Prinz Felix zu Löwenstein (Vorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW)) meint: „Nur durch Bio erhalten wir die Funktionsfähigkeit von Klima, Biodiversität, Boden, Wasser und vielem anderen, auf das auch die Generationen nach uns einen Anspruch haben.“ Was interessiert mich Bio, wenn als erste Argumente „die Funktionsfähigkeit von Klima, Biodiversität, Boden, Wasser“ angeführt werden, wenn für mich als Menschen kein Angebot da ist. Ich soll Bio kaufen und essen, damit es den Tieren und der Umwelt gut geht – und nicht mir? Für dieses dürftige und an der Realität des Menschen vorbeigehende Angebot gibt es völlig berechtigt vom Verbraucher „Punktabzug“ und Preisabschlag. Und Bio wird immer weiter auf Unverständnis und ungenügende Akzeptanz stoßen, wenn Bio nicht in der Lage ist – anstatt auf Illusionen zu setzen und dem Verbraucher zu suggerieren, Kartoffeln würden mit der Mistgabel ausgegraben etc. – sich für die wirklichen Ideale des Menschen zu interessieren, diese „auszugraben“, freizulegen und Bio mit Blick auf diese Ideale verständlich zu machen und zu realisieren.



Zu geringe Wertschätzung für Ökoprodukte I wurde am 08.06.2010 unter Ökologischer Landbau veröffentlicht.

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