Rudolf Steiner über die volkswirtschaftliche Problematik unnützer Doktorarbeiten

 

Aus Nr. 135a der Rudolf Steiner Gesamtausgabe, Seite 61:

Sehen Sie, ein Zusammenhang, der vor allen Dingen eine große Rolle in der nächsten Zeit wird spielen müssen, wenn nicht unermessliches Unglück, das verhütet werden kann und verhütet werden darf, trotz des Weltenganges heraufkommen soll, das ist der: Alles, was heute Proletariat ist, ist ja in seinem Denken doch genährt von den perversen wissenschaftlichen und sonstigen Auseinandersetzungen der letzten Jahrhunderte – und namentlich des letzten Jahrhunderts – des Bürgertums. Das Proletariat hat ja alles das geerbt, was das Bürgertum hervorgebracht hat in bezug auf Denken und Vorstellen. Das Proletariat steht nur in einer anderen Weise in der Welt drinnen und zieht andere Konsequenzen daraus. Der Ursprung von dem, was die Bolschewisten tun, liegt in der Universitätsbildung von heute, in der Gestaltung, welche das Erziehungswesen gerade der bürgerlichen Klassen gefunden hat. Denn die Proletarier haben ja nichts anderes gelernt als dasjenige, was die bürgerlichen Klassen produziert haben. Sie ziehen eben nur in ihrer Art die Konsequenzen daraus. Deshalb ist es notwendig, vor allen Dingen dafür Verständnis hervorzurufen im Proletariat selber, wie sie eigentlich von den abgefallenen Brocken des unbrauchbaren bürgerlichen Denkens zehren und nun eine Bewegung hervorrufen wollen, die doch nur ohnmächtig sein kann, weil sie eben aus dem unfruchtbaren Bourgeois-Denken hervorgeht. Dieses Verständnis muss erweckt werden, kann aber natürlich nicht anders erweckt werden, als dass man sich klar wird darüber, dass nun in der Bourgeoisie selber eine völlige Umkehrung stattfinden muss gerade in bezug auf diesen Punkt, in bezug auf das geistige Leben, in bezug auf das Bildungswesen. Die ganze Art der Einrichtungen des Bildungswesens ist eben wirklich für die neue Zeit nicht zu gebrauchen, und es muss einfach dafür gesorgt werden, dass die Kontinuität des Wirtschaftslebens so lange aufrecht erhalten wird, bis überwunden wird alles dasjenige, was in ungesunder Weise in unsere Volkswirtschaft eingreift von dem ungesunden Bourgeois-Getriebe des Lebens. 

Da müssen Sie schon Rücksicht darauf nehmen, dass man in verständlicher Weise sich die Sache zurechtlegen muss. Denken Sie doch, dass Sie sich klarmachen müssen, dass Geld als solches überhaupt nichts ist. Wahre Werte sind ja nur Arbeit. Geld ist ja niemals etwas anderes als Anweisung auf Arbeit. Aber die letzten Konsequenzen aus diesen Dingen werden ja nicht gezogen. Ich will ein Beispiel von der Bildung der heutigen Zeit selber nehmen. Sehen Sie, da sind die jungen Füchse, die Studenten meine ich, die müssen – nun, ich will ein Beispiel herausheben -Dissertationen machen. Es ist ja wirklich so, dass Dissertationen gemacht werden müssen, meinetwillen über den i-Punkt in den Urkunden von Innozenz IV. Ich kenne einen Mann, der sein ganzes Leben hindurch einen gewissen Ruf hatte, über die Schimpfwörter bei Properz eine Dissertation gemacht zu haben, oder über die Parenthesen der griechischen Dramatiker und so weiter. Ich könnte Ihnen Unzähliges anführen. Aber das sind ja nur Beispiele, die vermillionfacht werden könnten jetzt, nicht nur hundert- oder tausendfach auf den verschiedensten Gebieten vermehrt werden könnten. Ja, diese Dinge, die dürfen nicht weiter belletristisch behandelt werden, sondern diese Dinge müssen nach den Anforderungen unserer Zeit in eine volkswirtschaftliche Perspektive gerückt werden. Der junge Fuchs sitzt ein ganzes Jahr über seiner Dissertation, die über die Parenthese meinetwillen bei Homer handelt. Nicht wahr, er sitzt ein ganzes Jahr darüber. Es kann eine sogenannte fleißige, saubere Arbeit werden. Aber was bedeutet das? Das bedeutet, dass sich der Student ein Jahr damit beschäftigt und isst und trinkt und sich kleidet. Dasjenige, was er isst und trinkt und womit er sich kleidet, das muss gearbeitet werden von so und soviel Leuten. Da muss die soziale Struktur dazu da sein, dass wirkliche Arbeit, reelle Arbeit sich so umwandelt, dass dieser junge ochsende Student ein Jahr essen und trinken und sich bekleiden kann, um über die Schimpfwörter bei Properz oder über die Parenthese bei Homer zu schreiben. 

Wenn Ihnen jemand nur annähernd einen Begriff geben würde, wie in dieser Weise richtige menschliche Arbeit umgewandelt wird in absolut kulturnichtsnutziges Zeug, was wertlos nach jeder Richtung ist, dann würde er eine ungeheuer wohltätigeTat begehen. Aber das sind die Dinge, die zum Verständnis gebracht werden müssen, dass das, woran man gar nicht denkt, als höchstens es mit einem Lächeln zu behandeln, dass das in volkswirtschaftliche Perspektive gerückt werden muss. Denn wir sind bei der Zeit angekommen, wo alle Dinge in volkswirtschaftliche Perspektiven gerückt werden müssen. Derjenige Bürgerliche, der nicht versteht, was es heißt, Arbeitskraft von Menschen zu missbrauchen, um einem jungen Menschen möglich zu machen, ein ganzes Jahr zu essen und zu trinken und sich zu bekleiden über der Tat, die Schimpfwörter des Properz in ein System zu bringen, der Mensch, der das nicht begreift, findet auch nicht die Möglichkeit, die Rangierung zu bewirken, von der ich gesprochen habe. 

Das bezeugt Ihnen aber auch das andere, was notwendig ist: auf der einen Seite sich zu rangieren, dass wirklich Kontinuität des Wirtschaftslebens möglich ist, auf der anderen Seite Verständnis hervorzurufen gerade im Proletariat, dass man gemeinsam mit dem Proletariat ein solches Geistesleben pflegen will, das nicht in ungesunder Weise sich wirtschaftlich auslebt, sondern in gesunder Weise sich wirtschaftlich auslebt. Wenn man erst diese Grundlage geschaffen hat, wenn zum Beispiel der Proletarier weiß: Du bist mit mir einverstanden, ich kann dich brauchen, denn du weißt dies oder das zu tun, weil du gelernt hast, was ich noch nicht gelernt habe – auf etwas anderes hin, als dass einen die Leute brauchen, werden sie einen nicht sich zu ihnen setzen lassen —, wenn erst der Proletarier einsieht, dass der Bürgerliche Verständnis hat für solche Dinge, dann wird er die Möglichkeit herbeiführen, die Kontinuität des Wirtschaftslebens zu begründen, einfach aus solchen Gründen. Auf andere Weise, auf anderem Wege ist es nicht zu machen. Dann aber wird er zugänglich sein, wenn man sich mit ihm verständigt darüber, dass ferner nicht auf ungesunde Weise Unternehmergewinn privater Erwerb sein darf, denn nur dadurch, dass Unternehmergewinn privater Erwerb sein kann, ist es möglich, dass in den Dissertationen der jungen Füchse an den Universitäten, indem der Unternehmergewinn wiederum in ihr Essen und Trinken umgewandelt wird – der Unternehmergewinn, welcher aber Mehrwert der Arbeit ist -, die Schimpfwörter bei Properz oder die Parenthese bei Homer in ein System gebracht werden können. Das ist aber nur vergleichsweise gesagt, denn es könnte vertausendfacht und vermillionfacht werden. 

Dadurch allein aber wird man Verständnis hervorrufen, Verständnis dann auf einem Umwege, für das, was auf geistigem Wege besonders notwendig ist und was droht, ganz zugrunde zu gehen, wenn man sich nicht rangiert — denn aus dem Proletariat heraus wird das Gegenteil von dem folgen, was notwendig ist auf dem geistigen Wege —, und das ist: die Freiheit der Individualität. Sie wird aus dem Proletariat heraus totgeschlagen. Die Freiheit der Individualität, die ermöglicht, dass Anlagen gebraucht werden können, dass Talente sich verwirklichen, dass der Mensch überhaupt mit Bezug auf alles dasjenige, was er geistig produziert oder woran er geistig teilnehmen soll, ein freier Mensch ist, das alles lässt sich aus den Voraussetzungen der heutigen Proletarier-Anschauungen nicht realisieren. Aber zum Verständnisse zu bringen wäre es, wenn man sich entschließen würde, wirklich die neue Sprache zu führen, die notwendig ist. Das ist es, über was man heute als, ich möchte sagen, etwas Tagesnotwendiges unbedingt sich aufklären sollte, in was man heute Einsicht gewinnen sollte. Und gewinnt man Einsicht, dann wird man schon sehen, was alles versäumt worden ist, indem man eine tiefe Kluft aufgerissen hat zwischen dem Proletarier, der seine Zeit so verwendet hat, wie ich es Ihnen angedeutet habe, und zwischen dem Bürgertum, das über die Dinge doch im Grunde genommen ganz unwissend geblieben ist.  

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Rudolf Steiner über die volkswirtschaftliche Problematik unnützer Doktorarbeiten wurde am 22.07.2017 unter Hide veröffentlicht.

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