Zum Unterschied zwischen Begriffen und Ideen und dem Denken

 

von Ingo Hagel

 

Zu Beginn des vierten Kapitels seiner „Philosophie der Freiheit“ geht Rudolf Steiner auf den Unterschied zwischen Begriffen und Ideen und dem Denken ein: 

Ich muss einen besonderen Wert darauf legen, dass hier an dieser Stelle beachtet werde, dass ich als meinen Ausgangspunkt das Denken bezeichnet habe und nicht Begriffe und Ideen, die erst durch das Denken gewonnen werden. Diese setzen das Denken bereits voraus. Es kann daher, was ich in Bezug auf die in sich selbst ruhende, durch nichts bestimmte Natur des Denkens gesagt habe, nicht einfach auf die Begriffe übertragen werden.

Damit ist noch einmal in diesem Buch auf diese große Frage hingewiesen, die man so leicht übersieht, und die man so leicht völlig missversteht – das heißt überhaupt nicht versteht – weil man sich doch –

sich an die Brust schlagend und hochmütig, wie man als sogenannter moderner Menschen mit seinem dahinflitzenden Gehirn nun mal ist – und besonders als studierter Mensch – 

völlig überzeugt glaubt, zu wissen, was das ist: das Denken. Und überhaupt: 

Man denkt doch den ganzen lieben langen lästigen Tag und denkt und denkt und schiebt irgendwelche nichtssagenden Begriffe hin und her. Was soll da denn nun Neues dran sein mit dieser Unterscheidung von Begriffen und dem Denken?   

 

Eines der Ziele von Rudolf Steiners „Philosophie der Freiheit“ ist,

das Denken – Neben Begriffen und Ideen – als etwas völlig Eigenes und Eigenständiges als Beobachtung in den Blick zu bekommen. Dafür kann man aber das Denken entlang der Sinneswelt schon mal nicht gebrauchen. An dieser Sinneswelt erarbeitete Begriffe und Ideen zu haben – 

und seien Sie noch so abstrakt und „geistig“ – 

ist etwas völlig Anderes als reine, sinnlichkeitsfreie Begriffe und Ideen zu haben. Gerade diese Art von aus der Sinneswelt abstrahierter Begrifflichkeit, von einem Denken, das allerdings keines ist –

weil es sich nur auf den Krücken der Sinneswahrnehmung dahinschleppen kann und ohne diese zusammenbricht – womit einem dann das eigene Sein in ein Nichts zerfällt – 

muss –

jedenfalls für die Momente und Zeiten, in denen das Denken beobachtet werden soll –

überwunden werden. Für diese Art des reinen Denkens muss man sich allerdings nicht nur sehr anstrengen, sondern auch bestimmte Umwendungen in der begrifflichen Wahrnehmungsfähigkeit vollziehen können. 

 

Man muss seinen Willen im Denken aktivieren. 

Wenn es gut geht, merkt man schon, wie sehr man seinen Willen im Denken aktivieren muss. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass auch diese Wahrnehmungsfähigkeit bei den heutigen sogenannten modernen Menschen –

„Unsere westlichen Werte“ und so weiter –

überhaupt erst herangezogen werden. Es ist immer wieder zu erleben, dass die Menschen aufgrund der desaströsen modernen Denkgewohnheiten überhaupt nicht wissen, was das ist: Denken, beziehungsweise Wille im Denken. Man kann es aber zum Beispiel an der „Philosophie der Freiheit“ lernen –

beziehungsweise man kann darauf aufmerksam werden, dass da etwas ist, was man nicht hat und was man nicht kann. Das wäre schon mal ein riesiger Fortschritt. –

 

Man muss allerdings, wenn man das realisieren will, darauf kommen, 

dass der bloße abstrakte, intellektuelle Kopfgedanke, mit dem der Mensch so sein gewöhnliches Alltagsleben und seinen gewöhnlichen Alltagsberuf abwickelt, nicht zu gebrauchen ist, da dieser nur auf die äußere Sinneswelt gerichtet ist – also kein wirkliches Denken darstellt. –

Das heißt nicht, dass man dieses Denken an der Sinneswelt entlang nicht mehr braucht und abschaffen sollte, sondern dass man es nur für die Zeit der Beobachtung des Denkens gemäß der „Philosophie der Freiheit“ nicht gebrauchen kann. –

 

Aber auch wenn der Mensch das Glück haben sollte, 

sich mit der „Philosophie der Freiheit“ Rudolf Steiners beschäftigen zu wollen, muss er – wenn es gut gehen soll – darauf kommen, dass nur mit diesem gewöhnlichen Denken des Kopfes, und sei es noch so abstrakt und „willenshaft gewollt“, letztlich nichts anfangen kann. Man muss darauf kommen, dass dieses Denken des Kopfes vom wirklichen Denkwillen des unteren Menschen –

Rudolf Steiner sprach dazu auch von einem Denken mit der Brust beziehungsweise mit der großen Zehe – 

flankiert werden muss, sonst wirkt das Denken des Kopfes alleine nur krankmachend. –

Und der heutige sogenannte moderne Mensch ist mit Blick auf dieses Denkunverständnis wirklich alleine – er weiß gar nicht, wie alleine er in dieser Hinsicht ist – und selbst wenn er diese Einsamkeit fühlen sollte, dann weiß er noch lange nicht, warum er sich alleine fühlt. –

  

Das Ganze wird nur geheilt werden können durch ein Verständnis dessen, 

was wirkliches Denken ist. Das Denken mit dem Kopf ist kein wirkliches Denken, denn man lässt irgendeine unbekannte Macht in sich für sich denken. Man denkt nicht selber, sondern man lässt sich als Schiffbrüchigen von der Woge der in Einem wütenden „Geistigkeit“ an irgendein Begriffsgestade dieser Welt werfen – 

und man hält das dann vielleicht auch noch für Logik und so weiter – und sich selber natürlich für ein ganz schlaues Käppsele, das dann vielleicht auch noch die Hand aufhält und „Gehaltserhöhung“ und „Beförderung“ für „seine“ Leistung verlangt. – 

 

Es wäre besser, wenn man diesen Lebenskampf bewusst in die „Philosophie der Freiheit“ verlagern würde. 

Dort ist er angebracht, denn dort steht nicht endlose, unlösbare Weite, sondern die Küste der Rettung am Horizont. Aber Lebenskampf wird es auf jeden Fall geben – entweder den aussichtslosen, der sich mit den machtlosen Kopfgedanken –

hysterisch oder neurasthenisch, je nach Konstitution – 

an der Unlösbarkeit der eigenen sowie der Existenz der Welt um Einen herum abarbeitet – oder eben an der Lösbarkeit der Probleme, die die „Philosophie der Freiheit“ vor einem ausbreitet, die aber immer gleichzeitig mit diesen Problemen Einem die Rettungsringe zuwirft. – 

Und die vielen Artikel hier auf Umkreis-Online zur „Philosophie der Freiheit“ wollen ein Verständnis dafür hervorrufen.  

 

Man wird sich also zu einem Verständnis dessen durchringen müssen, 

was das Denken eigentlich ist. Man wird sich zur Einsicht durchringen müssen, dass man die Wahrnehmbarkeit, die Einem für sein gewöhnliches Bewusstsein für die Sinneswelt geschenkt worden ist, aus diesem faulen Absolutheitsanspruch entthronen muss und auf die Wahrnehmbarkeit dessen ausdehnen muss, was man bisher nur dünn und fadenscheinig „gedacht“ hat, nämlich Begriffe und Ideen. 

Man wird zu der Einsicht kommen müssen, dass das, was man bis jetzt nur dünn, fadenscheinig und flüchtig, eisigkalt und schmerzvoll gedacht hat, eine ganz neue, eigene, warme Fülle, Plastizität und Substanz erhält, die, indem sie die Wahrnehmungen durchdringt, diesen erst einen akzeptablen Wirklichkeitscharakter verleiht. Aus Beobachtung und Denken besteht so die Wirklichkeit. 

 

Für viele Menschen scheint diese „Philosophie der Freiheit“ völlig unverdaulich zu sein. 

Ich halte das allerdings für ein von vielen Menschen viel zu schnell gefälltes Urteil – ich halte das also für ein Fehlurteil. –

Gerade auch deswegen, weil diese Kulturepoche, in der wir leben, auf Bewusstsein, und nicht auf Dumpfheit und gedanklichen Automatismus gebaut sein wird. Und von dieser Art des Bewusstseins gibt qualitativ, nicht inhaltlich, die „Philosophie der Freiheit“ Rudolf Steiners einen kleinen Vorgeschmack. Man kann sich an ihr also schon mal für die zu entwickelnden Fähigkeiten sowie die zu bewältigenden Aufgaben dieser zu verwirklichenden Bewusstseinskultur warmlaufen. – 

 

Und gerade diejenigen, die studiert haben 

und daher sehr viel aufs Denken geben – 

jedenfalls gab man da früher viel drauf – was allerdings die Zivilisationskatastrophe nicht abwenden konnte – was ebenfalls nur belegt, wie falsch gedacht wurde und wird –  

und die also ihr Geld mit Nachdenken verdienen, sollten diesen inneren Hochmut überwinden und sich anhand der „Philosophie der Freiheit“ einmal damit beschäftigen, was denn wirkliches Denken ist –

nämlich Vordenken, das heißt in die Sichtbarkeit holen, was bis jetzt für Einen nicht da war. –

Man käme dann schon auf ganz andere Ideen über Welt, Leben und den Menschen – und dazu, diese Bereiche dann auch anders zu gestalten. 

 

In einer Zeit, in der wir – gemessen an den Phänomenen des Zeitgeschehens –

überall an steil abfallenden Klippen und stürmisch umtosten Abgründen der Erkenntnis stehen und dazu aufwachen könnten, dass die Art und Weise, wie diese sogenannte moderne und gepriesene Kultur des Westens falsch gedacht hat –

und dadurch diese Kultur immer weiter in die selbstverschuldete Zerstörung bringen wird –

könnte man doch zu einer Einsicht kommen, wie denn auf den allerverschiedensten Gebieten des Lebens wirklich gedacht werden sollte, um eine menschliche, soziale Gemeinschaft in einer fruchtbaren, gedeihlichen und heilsamen Weise zu gestalten. Denn das wird letzten Endes dann doch nur über Gedanken, nämlich wirkliche Gedanken geschehen können.  

 

 

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