Bittärr säähr! Saggen Sie mir, Herr Doktor Schnagel, Antwort selbiges auf letztes Fragge zur „Philosophie der Freiheit“
von Ingo Hagel
Hier in dieser GA 179 (S. 142) bespricht Rudolf Steiner das Problem, dass diese Zeit
an einer Überfülle von Intellektualität geradezu leidet. Nicht als ob damit gesagt sein sollte, daß die Menschheit in unserer Gegenwart, verglichen mit früheren Zeitaltern, ganz besonders gescheit wäre. Das ist damit nicht gemeint, sondern gemeint ist, daß die verschiedenen Seelenkräfte des Menschen in unserer Zeit alle nach der Intellektualität hinneigen. Und da wir im materialistischen Zeitalter leben, so wird die Intellektualität ausschließlich dazu verwendet, das materielle Dasein mit der Menschenseele zu durchspinnen, und umgekehrt die Menschenseele zu durchspinnen mit dem materiellen Dasein. Hoch ist unsere Intellektualität im gegenwärtigen Zeitalter nicht, weil sie sich fast ausschließlich richtet auf die Zusammenstellung und Zusammenfassung, wenn ich mich pedantisch ausdrücken will, auf die Systematisierung der materiellen Dinge und materiellen Erscheinungen. Aber in einem gewissen Sinne ist diese Intellektualität alleinherrschend innerhalb der menschlichen Seele.
Hat man in also diesen heutigen „schweren Corona-Zeiten“ – nur zum Beispiel – das glückliche Schicksal,
irgendwie und irgendwo und unverhofft und völlig unvorbereitet der Anthroposophie Rudolf Steiners –
oder seinem verheißungsvollen Buch „Philosophie der Freiheit“ – siehe dazu auch hier auf Umkreis-Online –
begegnen zu dürfen, dann kann einen das mulmige Gefühl beschleichen, dass zu einem Verstehen dieser Dinge der Intellekt –
mit dem wir ja alle von Geburt aus und durch Erziehung, Schule, Ausbildung, Studium und ganz viel Fernsehengucken und Smartphonedrücken überreichlich ausgestattet sind –
und mit dem wir heute glauben, Alles und Jedes verstehen zu können, nicht ausreichend ist.
Da muss erst noch etwas Anderes zu dieser Intellektualität hinzukommen.
Rudolf Steiner dazu:
Was ist das Notwendige an Seelenkraft, das in dem nächsten Zeitalter, an dessen Beginn wir stehen, zu der Intellektualität dazukommen muß? Mit Intellektuellem ist heute alles durchdrungen, wenn auch mit Intellektuellem, das ausschließlich auf den physischen Plan sich bezieht. Mit Intellektuellem ist die Wissenschaft, mit Intellektuellem ist die Kunst, mit Intellektuellem ist das menschliche soziale Denken durchdrungen. Was dazukommen muß, das ist etwas, was, wirklich verstanden, gar nicht intellektuell sein kann. Und was gar nicht intellektuell sein kann, wenn es wirklich verstanden wird, wenn es in das menschliche Bewusstsein aufgenommen wird, das ist der menschliche Wille, der so von der Liebe durchdrungene menschliche Wille, wie ich versucht habe, den menschlichen Willen im Zusammenhange mit dem Impuls der Liebe zu charakterisieren in meiner «Philosophie der Freiheit».
Leider führt Rudolf Steiner diesen wichtigen Hinweis
zu dieser so wichtigen „Philosophie der Freiheit“ (hier in dieser GA 179, S. 143) nicht sehr ausführlich weiter aus. Anscheinend war dieser Hinweis auf dieses Buch –
das bereits fast 25 Jahre, also ein Vierteljahrhundert vor dem oben angeführten Vortrag erschien – und das durchaus als das Heilmittel für diese kranke Zeit mit ihren kranken Menschen und ihrem kranken sozialen Leben anzusehen ist –
selbsterklärend. In dieser „Philosophie der Freiheit“ steht eigentlich alles schon drin – so zum Beispiel dieses:
Keine andere menschliche Seelenbetätigung wird so leicht zu verkennen sein wie das Denken. Das Wollen, das Fühlen, sie erwarmen die Menschenseele auch noch im Nacherleben ihres Ursprungszustandes. Das Denken lässt nur allzuleicht in diesem Nacherleben kalt; es scheint das Seelenleben auszutrocknen. Doch dies ist eben nur der stark sich geltend machende Schatten seiner lichtdurchwobenen, warm in die Welterscheinungen untertauchenden Wirklichkeit. Dieses Untertauchen geschieht mit einer in der Denkbetätigung selbst dahinfließenden Kraft, welche Kraft der Liebe in geistiger Art ist.
An dieser „Philosophie der Freiheit“ kann man in der Tat so vieles Wichtige und Nötige lernen, in diesem Buch steht so Vieles eben einfach schon drin – und vielleicht auch deswegen gibt Rudolf Steiner oft eben nur einfache Hinweise und Verweise auf dieses Buch –
aber enorm wichtige Hinweise und Verweise –
die der heutige Leser – oder damalige Hörer – von Rudolf Steiners Vorträgen selber weiter zu entwickeln hat. Aber auch das gehört zur Signatur dieser ganzen Angelegenheit: Man muss selber in eine innere Bewegung kommen, selbst wenn diese ersteinmal nur eine Suchbewegung ist, die – vielleicht noch – keine Antwort liefert.
Oder hatte Rudolf Steiner mit dem Wenigen, was er damals dazu ausführte –
aber an so vielen anderen Stellen führte er ja so vieles Andere dazu aus –
schon den Gedulds- und Verständnisfaden seiner Zuhörer vielleicht schon aufs äußerste angespannt, so dass er einfach nur auf die Sache hinwies –
die eigentlich sowieso kaum Jemanden interessierte, damals nicht, wie heute nicht – wenn da nicht der Name Rudolf Steiners auf dem Buch stehen würde … –
So schrieb Andrej Belyj damals:
Unter den unzähligen, für mich persönlich wichtigen (ich betone: „persönlich“, ohne anderen etwas aufdrängen zu wollen) Leistungen Rudolf Steiners nenne ich nur einige, die einen besonderen großen Einfluss auf mich haben. In dieses erste Kapitel gehört die erstaunliche, bislang noch von keinem erschöpfend verstandene Erkenntnistheorie. In gedrängten, fast kargen Thesen dargestellt und skizzenhaft in einer ganzen Anzahl von Büchern, Artikeln, Anmerkungen zu Goethe und Vorträgen eingestreut, bietet sich genügend Material für ein umfangreiches Werk oder eine Reihe von Werken, die Steiner selbst nicht geschrieben hat – aus Zeitmangel und aus Mangel an Interesse seitens der Anthroposophen; das hat er mir persönlich gesagt. Und sie ist bis heute von keinem seiner Schüler dargestellt worden. (aus: Verwandeln des Lebens, Erinnerungen an Rudolf Steiner, Zbinden Verlag, Basel, 1977)
Man kann sogar an den vielen „gedrängten, fast kargen Thesen“ dieser Art
zu diesem Thema der „Philosophie der Freiheit“ –
sowie zum Thema der Meditation, welches anscheinend gar nichts mit diesem Thema der „Philosophie der Freiheit“ zu tun hat – aber es hat, richtig verstanden, sehr viel damit zu tun, auch wenn die „Philosophie der Freiheit“ selber explizit und vordergründig keine Anleitung zum übersinnlichen Schauen darstellt, allerdings definitiv eine gründliche Fundierung –
an denen man sich als passiver Leser dieser „modernen“ Zeit sehnlichst eine schnelle „Erklärung“ wünscht –
Bittärr säähr! Saggen Sie mir, Herr Doktor Schnagel, Antwort selbiges auf letztes Fragge zur „Philosophie der Freiheit“ – in drei Sätzen. Bittärrscheen! –
das heißt so eine Art Gebrauchsanweisung wie zum Beispiel von heutigen Elektronikgeräten oder Ähnlichem –
Sie müssen nur den Nippel durch die Lasche zieh’n … –
darauf kommen, was da eigentlich vorliegt: Vieles auf diesem Gebiet muss eben von Einem selber so entwickelt werden, dass es selber gefunden und Erlebnis wird – sonst bleiben es nur Worte. Mit Worten muss allerdings immer wieder darauf hingewiesen und die Richtung gewiesen werden. Und das hat Rudolf Steiner immer wieder und in nie ermüdender Weise getan.
Aber wie macht man das denn nun mit diesem
so von der Liebe durchdrungenen menschlichen Willen?
und was meint Rudolf Steiner mit dieser
in der Denkbetätigung selbst dahinfließenden Kraft, welche Kraft der Liebe in geistiger Art ist?
Auf der nächsten Seite dieser GA 179 findet sich dazu
auf Seite 144 dann doch noch ein kurzer, allerdings gewichtiger Hinweis:
Dies ist das Wichtige und Wesentliche, daß die Menschen in ihr Bewusstsein wiederum aufnehmen die Kraft des Willens. Sobald man von Weltenwille redet, redet man auch von dem, was real waltet in dem Weltenwillen: von der Weltenliebe. Von ihr allerdings braucht wenig geredet zu werden, denn sie waltet dann, wenn der Wille wirklich vorhanden ist. Und viel bedeutungsvoller ist es, von den einzelnen konkreten Impulsen des Willens, die notwendig sind in unserer Zeit, zu reden, als sich in sentimentalen Allgemeinheiten zu ergehen über Liebe und Liebe und Liebe.
Man muss also einfach sehen, dass der richtige Wille zum Lesen und Verstehen der „Philosophie der Freiheit“ da ist, dann kommt die Liebe schon. Macht man das mit dem Willen richtig, dann kommt die Liebe einfach.
Man kann nicht direkt bei der Liebe ansetzen, man kann nicht direkt beim Gefühl ansetzen.
Es geht bei dieser Angelegenheit nicht um das vom Denken durchdrungene Gefühl –
obwohl das in der heutigen Zeit durchaus etwas ganz Wichtiges ist, diese dumpfen, dunklen Gefühle mit dem Gedanken zu durchdringen und zu durchlichten, aber das ist eben das Sekundäre, nicht das Primäre, das zu erreichen ist –
sondern um das vom Willen durchdrungene Denken. Es geht –
ist in der „Philosophie der Freiheit“ zu lesen –
um ein wesenhaftes Denken:
Wer nämlich zum wesenhaften Denken sich hinwendet, der findet in demselben sowohl Gefühl wie Willen, die letztern auch in den Tiefen ihrer Wirklichkeit; wer von dem Denken sich ab- und nur dem «bloßen» Fühlen und Wollen zuwendet, der verliert aus diesen die wahre Wirklichkeit.
Wesenhaft ist aber ein Denken, das nur die Dinge der Sinneswelt abbildet, nicht.
Dieses ist schattenhaft, weil es gegenüber den Wahrnehmungsobjekten völlig in den Hintergrund tritt und nicht mehr erlebt wird. Aber anhand der reinen –
das heißt nicht mehr auf Sinnesdinge deutenden –
Gedanken der „Philosophie der Freiheit“ kann man zu einem wesenhaften Denken kommen. – Bei dem Denken ist also anzusetzen – aber in der richtigen Weise. –
Steht also alles schon drin in der „Philosophie der Freiheit“. –
Daraus und aus dem Zusatz zum dritten Kapitel der „Philosophie der Freiheit“
ergibt sich dann aber wiederum die Antwort auf die Frage, wie man denn diesen Willen realisiert. –
Aber wie gesagt: Diese Antworten sind ja erst einmal nur Worte, solange man das nicht selber realisiert hat, was in diesen Worten an Bedeutendem steckt. Und an dieser Realisierung kann man sich ganz schön lange abarbeiten. Aber das ist nun einmal so. Das ist gesund. –
In diesem Zusatz zum dritten Kapitel der „Philosophie der Freiheit“ –
also so ziemlich am Anfang und sozusagen im Bereich des Elementaren dieses Buches, aber eben in einem dieser Zusätze zur Neuauflage 1918, die noch einmal einen ganz anderen Duktus haben als die Erstausgabe dieses Werkes –
wird das Denken, das Rudolf Steiner in dieser „Philosophie der Freiheit“ meint –
das aber 25 Jahre lang seit der Erstauflage missverstanden worden ist – heute sind es bereits 127 Jahre –
von ihm noch einmal in bedeutsamen Charakterisierungen gekennzeichnet. Weil ich auch über diesen Zusatz zum dritten Kapitel der „Philosophie der Freiheit“ hier auf Umkreis-Online ja immer wieder geschrieben habe, lasse ich das einfach so als Hinweis und Verlinkung hier stehen.
Das, was man aber aus dieser „Philosophie der Freiheit“ aus dieser im Zusatz zum dritten Kapitel erfolgten Charakterisierung des Denkens entnehmen kann, ist,
dass wirkliches Denken –
also das, was Rudolf Steiner in seiner Philosophie „Philosophie der Freiheit“ als Denken voraussetzt –
aufgrund einer solchen Konzentration erfolgen sollte, wie sie wohl Niemand jemals auf seinem sonstigen Lebens- und Ausbildungswege erfahren haben wird. Wer das vollbringt, wird auch die Wahrheit des oben Angeführten erfahren können:
Und was gar nicht intellektuell sein kann, wenn es wirklich verstanden wird, wenn es in das menschliche Bewusstsein aufgenommen wird, das ist der menschliche Wille, der so von der Liebe durchdrungene menschliche Wille, wie ich versucht habe, den menschlichen Willen im Zusammenhange mit dem Impuls der Liebe zu charakterisieren in meiner «Philosophie der Freiheit».
Es steht also – wie gesagt – Alles schon drinnen in der „Philosophie der Freiheit“.
Wer sich so derart konzentrieren kann, der bringt das, was er im Denken vor sich hat, hervor.
Und das muss man ja im reinen Denken auch, das sich auf keine Sinnesobjekte mehr stützen kann. Dieser Wille, der das vermag, der diese Kraft der Liebe –
zur Erzeugung von Etwas, was ohne diese Liebe nicht da wäre –
aufbringen kann, überwindet damit –
ganz langsam, man soll da bloß nicht übermütig werden –
die Intellektualität, die umso liebloser und distanzierter ist, je smarter, gerissener, schlauer und cleverer sie sich gebärdet. Die Dinge der Sinneswelt muss man nicht lieben, um sie im Bewusstsein zu haben – dazu sind sie selber viel zu aufdringlich. –
Zudem winken in unserer Welt, je smarter, gerissener, schlauer und cleverer man ist, hochdotierte Jobs, gesellschaftliche Anerkennung und sonstige Leckerlis – was als Motivation und Antrieb das Gegenteil von Hingabe, Selbstlosigkeit und Liebe ist. –
Ganz im Gegenteil dazu muss man alle Kraft und allen Willen aufwenden, um die Dinge der Sinneswelt möglichst – und immer vollkommener – aus seinem Bewusstsein zu tilgen, um reine, sinnlichkeitsfreie Gedanken an deren Stelle zu setzen. So sind zum Beispiel die reinen Gedanken der „Philosophie der Freiheit“ so unaufdringlich und –
und für ein nur intellektuell denken wollendes Bewusstsein daher „flüchtig“ –
dass man an ihnen gut üben und lernen kann, sie mit einer solchen Hingabe des Willens in sich erzeugen, die gleichbedeutend ist mit einer Liebe zu diesen Gedanken und zu dieser Tätigkeit.
Wer aber das, was Rudolf Steiner zu dieser Konzentration im Denken
in diesem Zusatz zum dritten Kapitel der „Philosophie der Freiheit“ darstellte, noch einmal anders als in Form dieser „verklausulierten Sätze“ vor sich haben möchte, der kann das zum Beispiel hier lesen in dieser Passage aus einem öffentlichen Vortrag – die einen natürlich wieder mal ans Staunen bringen kann, was damals der Öffentlichkeit dargestellt und zugemutet werden konnte (GA 255b S. 165):
Fassen wir einmal die Liebe ins Auge, wie sie sich im gewöhnlichen Leben äußert. Sie ist die Hingabe der Seele an eine andere Wesenheit, an einen Vorgang oder dergleichen. Was ist die Liebe, wenn sie im Leben auftritt? Wir dürfen sagen: sie ist gesteigerte Aufmerksamkeitsentfaltung. Der Anfang der Liebe, worin liegt er? Er liegt darin, daß ich, indem die Welt an mir vorüberzieht, einem Gegenstand meine besondere Aufmerksamkeit zuwende. Ich sondere einen Gegenstand aus; ich konzentriere mich auf diesen einen Gegenstand. Indem ich mich gewissermaßen auf einen Gegenstand konzentriere, lasse ich in Steigerung die Seele hinüberfließen in das Wesen dieses Gegenstandes, so daß die Selbstsucht zurücktritt. Indem man aufgeht in der anderen Wesenheit, folgt aus der Aufmerksamkeit dann die Liebe.
Diese Liebe als Konzentration und Aufmerksamkeit im Denken zu entwickeln, das fordert die gewöhnliche intellektuelle Wissenschaft und das gewöhnliche intellektuelle Leben nicht heraus – das fordert aber zum Beispiel das Studium der „Philosophie der Freiheit“ heraus.
Diese Liebe als Konzentration und Aufmerksamkeit in einem Denken, das gleichzeitig Wille ist,
wird aber auch von einem solchen gedanklichen Leben gefordert, das sich als eine wirkliche geistige, das heißt übersinnliche Forschung aus dem weiter entwickeln kann, das zwar keimhaft, aber deutlich, stark und eigentlich unübersehbar in dieser „Philosophie der Freiheit“ veranlagt ist –
das aber von dieser nicht gefordert wird, zu dem diese aber hinführt und die solide Grundlage legt, weil eben ein Leben in sinnlichkeitsfreien, reinen Gedanken bereits ein übersinnliches Leben darstellt, wenn auch erst einmal nur in Gedankenform –
was aber
geradezu wieder ärgerlich ist für viele unserer wissenschaftlichen Zeitgenossen, wenn man auf diesen besonderen Punkt hinweisen muß. (GA 255b S. 165)
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Bittärr säähr! Saggen Sie mir, Herr Doktor Schnagel, Antwort selbiges auf letztes Fragge zur „Philosophie der Freiheit“ wurde am
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