Hans-Werner Sinn und Sigmar Gabriel

 

von Ingo Hagel 

 

Schwer stoßen in dieser Podiumsdiskussion die unterschiedlichen Auffassungen von Professor Hans-Werner Sinn und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel zum Verhältnis von Wissenschaft (also einem freien geistigen Leben innerhalb der Gesellschaft) sowie der Politik zusammen.

 

 

 

Bei 2:20 nimmt der Moderator Bezug auf die Rede, die Wirtschaftsminister Gabriel (vor diesem Dreiergespräch auf dem Podium) auch zum Thema der Politikberatung hielt:

… was kann sie leisten, und wie muss auch, wenn der Wissenschaftler sich in die Politik begibt, wie muss er sich möglicherweise auch den Spielregeln der Politik anpassen.

Weiter referierte der Moderator (bei 2:50) aus der Rede von Sigmar Gabriel dessen Einstellung zur Wissenschaft:

Wenn ihr (also die Wissenschaftler; Anmerkung IH) Euch in die Politik begebt, dann müsst Ihr akzeptieren, dass es da Kompromisse gibt, und Ihr müsst auch kompromissfähig argumentieren. Und im übrigen gibt es auch keine Wahrheit, schon gar nicht in der Ökonomie, sondern nur Meinungen, und deswegen kann es nicht sein, dass ihr da mit einer Meinung reinkommt und behauptet, das ist das einzig Wahre. 

Mit dieser Auffassung des Wirtschaftsministers Gabriel erscheint mal wieder die Dekadenz dieser führenden Klasse, die überhaupt nichts anderes denken kann als den alten Einheitsstaat (den „guten“ Vater Staat), der Wirtschaft, Geistesleben und Rechtsleben in sich vereinigt und im „guten“ Sinne ordnet. Die Realisierung dieser Auffassung wird bis heute ermöglicht durch ein dekadentes Bürgertum, das diese dekadente führende Klasse (in Politik, Wirtschaft und Universitäten und so weiter) immer wieder per Wahl (ist alles natürlich absolut „demokratisch“) in die entsprechenden Ämter hievt – sowie eine aus dem ehemaligen Proletariat stammende nachrückende Schicht, die zwar die Keime einer neuen Seelenverfassung in ihrer Konstitution trägt, die jedoch das dekadente Denken des Bürgertums übernommen hat und sich daher daraus erst noch befreien muss.

Dieser alte dekadente Einheitsstaat setzt selbstverständlich voraus, dass der Wissenschaftler, dem er Arbeit gibt und den er bezahlt, sich „den Spielregeln der Politik anpasst“. Letzterer soll daher gefälligst – weil der einheitsstaatliche Politiker mit einem Wahrheitsanspruch eines selbständigen Geisteslebens nichts anfangen kann, „kompromissfähig argumentieren“. Der Wissenschaftler soll also – weil möglicherweise seine Aussage, dass 2 + 2 = 4 ist, für die Politik nicht „kompromissfähig“ ist – diese Aussage so manipulieren, also sagen wir mal in die Richtung dass 2 + 2 = 3,5 ist, dass der Politiker „kompromissfähig argumentieren“ kann. Und dazu könnte möchte der Politiker gerne auch noch sagen können: Ja, das ist ein von der Wissenschaft wohlbegründetes  Arbeitsergebnis. Denn der Politiker weiß, dass das Völkchen ihm nicht so sehr traut, aber auf die Wissenschaft große Stücke hält. Diese Wissenschaft soll sich also derart verbiegen in ihrer Wahrheitssuche, um es ihm, dem Politiker, mit Blick auf die Durchsetzung seiner Ansprüche in der Öffentlichkeit leichter zu machen, seine verdrehten Ansichten vor dem Volk zu begründen. Das ist sie also wieder einmal: die Dekadenz der führenden Klasse.

 

 

Die dekadente Politik setzt auch voraus, dass sich das Wirtschaftsleben unter das Primat dieses alten und dekadenten Einheitsstaat stellt.

Dieses wurde zum Beispiel von der dekadenten deutschen Regierung mit Blick auf ihre desaströsen Russland-Sanktionen gefordert:

Die dumme deutsche Politik will einen Wirtschaftskrieg gegen Russland – Und die dumme deutsche Wirtschaft macht mit – Zum überholten Primat der Politik

Ein schlafendes Wirtschaftsleben folgt, geführt von seinen schlafenden oder korrupten Politikern und sonstigen Drahtziehern, den Primaten in der Politik – anstatt seinem gesunden Menschenverstand.

Erschwerend kommt natürlich hinzu, dass diese deutsche Regierung diese Sanktionen gegen Russland auf Druck der amerikanischen Administration durchgesetzt hat, das heißt als nichts weniger als souverän (geistig eigenständig), sondern eben wiederum als dekadent zu bezeichnen ist.

Die Unternehmer in Deutschland und Europa, die unter diesen Russland-Sanktionen leiden, mögen jammern, soviel sie wollen – immer wieder kann man darüber lesen. Aber solange sie nicht die geistige Kraft aufbringen, sich von diesem alten und dekadenten Einheitsstaat zu lösen, werden Sie weiter unter diesem leiden müssen.

 

 

Wirtschaftsminister Gabriel hat natürlich recht, wenn er sagt, dass es in der Politik Kompromisse gibt. 

Ich selber habe hier auf Umkreis-Online immer wieder mit Blick auf die Soziale Dreigliederung (mehr dazu zum Beispiel hier und hier und hier) auf diesen Punkt hingewiesen, dass es in der Politik (Rechtsleben) letztlich nicht um Wahrheit geht, sondern immer um eine Kompromissbildung aus sehr unterschiedlichen Ansichten, Meinungen, Rechtsauffassungen der Teilnehmer dieses Rechtslebens (und das sind ja alle Menschen dieser Gesellschaft). Diese können durchaus einen zeitlich sehr begrenzten Charakter haben, das heißt morgen oder übermorgen bereits geändert werden, wenn sich das Rechtsempfinden der Gemeinschaft geändert hat.

Anmerkung: Sollte also zum Beispiel die Bevölkerung in Deutschland heute merken, dass sie mit Blick auf die sogenannte Flüchtlingskrise von ihrer Regierung hemmungslos betrogen und gnadenlos über den Tisch gezogen wird, dann könnte sie morgen die entsprechenden Maßnahmen ergreifen.

 

 

Aber im Geistesleben darf es keine Kompromisse geben.

Ich habe daher auch darauf hingewiesen, dass es neben diesem politischen Rechtsleben einer Gemeinschaft von Menschen (Gesellschaft) ein von keiner Institution abhängiges – weder dem Wirtschaftsleben noch der Politik – freies Geistesleben geben muss, das das, was es an Wahrheit erarbeitet, vorbringen kann ohne Rücksicht darauf, dass es doch gefälligst kompromissfähig zu argumentieren hat. Dieses freie Geistesleben muss also die finanziellen Grundlagen für seine Arbeit erhalten, ohne dass Politik oder Wirtschaftsleben den Repräsentanten dieses Geisteslebens irgendwelche Vorschriften über die Verwendung dieser Gelder machen. Das freie Geistesleben muss also seine Ansichten der Wahrheit erarbeiten und darstellen können, ohne fürchten zu müssen, von seinen Geldgebern bei mangelndem kooperativen Verhalten (Anpassung an die Spielregeln der Politik, Erarbeitung kompromissfähiger Vorschläge) sanktioniert zu werden.

 

 

Auch Professor Sinn muss als Repräsentant eines unfreien Geisteslebens diese (finanzielle) Abhängigkeit trotz der Größe und Souveränität seiner Leistungen gespürt haben.

Denn ich hatte immer wieder in diesem Clip das Gefühl, dass ihm bei diesem Gespräch mit seinem bossigen und Machtbewusstsein ausstrahlenden Arbeitgeber, Wirtschaftsministern Gabriel, sichtlich unwohl war, wie er zusammengedrängt in seinem Sessel hockte. Aber er sagte Minister Gabriel – der nicht nur auf dem Thumbnail des unten angeführten Clips so entspannt aussah, als ob er am liebsten noch die Füße auf den vor ihm stehenden Lautsprecher hochlegen wollte – dann doch mit Blick auf die Kompromissfähigkeit der Wissenschaft schonungslos und mutig die nötigen Takte:

Ich teile auch nicht die Auffassung, dass wir Ökonomen die politischen Beschränkungen mitberücksichtigen müssen, um dann irgendwelche Kompromisse vorzuschlagen …

Einfach den Clip anklicken, er ist auf die Zeitmarke 3:25 bis 6:03 voreingestellt:

Fassen wir zusammen:

Wie auch diese Podiumsdiskussion – mal wieder – zeigt, läuft alles darauf hinaus, dass das Geistesleben (Schulen, Ausbildungsstätten, Universitäten und Forschungseinrichtungen) aus der Vormundschaft des alten Einheitsstaates herausgelöst werden muss. Ebenso muss das Wirtschaftsleben aus dieser Zwangsumklammerung dieses kaputten Einheitsstaates herausgelöst werden. Es muss sich also das vollziehen, was ich immer wieder hier als Soziale Dreigliederung beschreibe (mehr dazu zum Beispiel hier und hier und hier auf Umkreis-Online), wenn es hier in Deutschland irgendeine positive und fruchtbare politische, rechtliche, wirtschaftliche und geistige Entwicklung geben soll.

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Hans-Werner Sinn und Sigmar Gabriel wurde am 20.04.2016 unter Politik, Soziale Frage, Zum Zeitgeschehen veröffentlicht.

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