Freiheit setzt im individuellen Leben des Menschen immer Ich-Entwicklung voraus

 

von Ingo Hagel

 

Zur Einstimmung und Einleitung dieses Artikels siehe – nur zum Beispiel – hier und hier und hier und hier.  

Freiheit heißt im individuellen Leben des Menschen immer Ich-Entwicklung. –     

Siehe zum Thema dieser Freiheit auch hier auf Umkreis-Online die diversen Artikel zur „Philosophie der Freiheit“ Rudolf Steiners. – 

Die Freiheit ist im eminentesten Maße abhängig von der Mobilisierung, Realisierung und In-Gang-Setzung dessen, was im Menschen als latente Kraft dieses Ich vorhanden und veranlagt ist – was aber unter den Verhältnissen, des heutigen sogenannten „modernen“, aber völlig veräußerlichten Lebens kaum zum Zuge und zum Tragen kommt. 

Letztendlich beruht die Freiheit auf der Realisierung dieses Ich, dieses rein geistigen Wesenskerns des Menschen. 

Der Mensch muss dieses Ich in sich ergreifen und betätigen, denn keine andere äußere Macht wird jemals in ihm dieses Ich betätigen können als nur er selber. Dass der Mensch durch Jahrhunderte hindurch daran gewöhnt worden ist, alle seine Bewusstseinsinhalte sich nur von außen anregen zu lassen, das macht es heute so ungeheuer schwer, selber zu einem wahren Erlebnis dieser Ich-Angelegenheit zu kommen.

Auch ist dieses Ich-Erlebnis etwas, was – wenn überhaupt – nur für den einzelnen Ich-Menschen erscheint. Dieser Fund, diese Erwerbnis kann niemals anderen Menschen gezeigt werden –

im Sinne von: Mein Haus, meine Yacht, mein Auto, meine Frau … – 

All das macht es noch schwerer, anderen Menschen davon Etwas zu vermitteln. Man ist immer gezwungen, für die Darstellung dieses lebendig Bewegten, flüchtigen und unendlich sich Verwandelnden zu versuchen, mit dem grobklotzigen Lineal der Worte dieser Sinneswelt einen Kreis zu zeichnen. Deswegen ist es eben so, dass schon vor über 200 Jahren der deutsche Philosoph    

Fichte mit Recht gesagt hat, die meisten Menschen würden sich lieber für ein Stück Lava im Monde halten als für ein Ich.   

 

Man ahnt anfänglich nicht, wie nahe Fichte mit dieser vielleicht witzig erscheinenden Charakterisierung –

die meisten Menschen würden sich lieber für ein Stück Lava im Monde halten als für ein Ich –

einer tiefen geisteswissenschaftlichen Wahrheit war, dass nämlich der Mensch, der sich nicht zu diesem rein geistigen Ich-Impuls aufgeschwungen hat, seelisch eben nur mit etwas wirtschaftet, das gar nicht von dieser Erde stammt.    

Und wenn Sie nachdenken, wieviel Menschen es gibt in unserer Zeit, die sich überhaupt eine Vorstellung davon machen, was ein Ich ist, das heißt, was sie selber sind, dann würden Sie im allgemeinen zu einem recht traurigen Resultat kommen.

Ganz abgesehen davon, dass dieses „traurige Resultat“ bis heute allgemeine Gültigkeit hat, kann in dem Menschen, der das Glück hat, durch Rudolf Steiner –

also zum Beispiel durch oben angeführte Charakterisierung – 

auf diesen Tatbestand einer mangelhaften Ich-Entwicklung aufmerksam gemacht zu werden, zu der Frage kommen: 

 

Wie macht man das denn, vom „Stück Lava im Monde“ weg und hin zu seinem Ich zu kommen?

Aus den heutigen Lebensroutinen heraus glauben und erwarten viele Menschen – 

wenn sie diesbezüglich überhaupt etwas erwarten und glauben – 

dass man zu diesem Ich so kommt, wie man heute auf irgendeinem Online-Formular oder Computerprogramm ein Häkchen an der richtigen Stelle setzt. Weiß man, wo das zu setzen ist, dann klickt man eben auf dieses Kästchen, und damit ist es auch schon getan. Häkchen gesetzt – Aufgabe gelöst und erledigt. So geht das aber mit dem Ich nicht. Der deutsche Philosoph Fichte sprach damals nicht vom Setzen irgendwelcher Häkchen, sondern vom Setzen des Ich: 

Das Ich setzt sich selbst.   

Das wird einem aber nicht von außen, nicht durch die Sinne gegeben, vermittelt und gesichert, sondern der Mensch muss es sich selber sichern durch seine eigene Aktivität, durch seine eigene Tat im Gedanklichen. 

 

Deswegen nannte Fichte diese Realisierung und Verwirklichung des Ich eine „Tathandlung„:

… und daher ist das: Ich bin, Ausdruck einer Tathandlung.       

Beziehungsweise Rudolf Steiner wies darauf hin als eine Erkenntnistat oder eine Taterkenntnis. Allerdings darf mit Bezug darauf nicht an eine Erkenntnis im alten Sinne gedacht werden:

Also es handelt sich nicht um die Ersetzung einer alten Erkenntnis durch eine neue, sondern darum, Taterkenntnis zu gewinnen, durch welche die Seele bewahrt wird vor dem Hineinsegeln in die bloße Materialität, vor dem Hineinsegeln des Geistig-Seelischen – wodurch das Ich aufgehoben würde – in das Ahrimanische. 

 

Bei dieser alten Art der Erkenntnis hatte man zwar vielleicht auch die Empfindung gehabt, 

dass man sie getan hat und mit Anstrengung geworben hat. Diese alte Art einer Erkenntnis vollzog sich allerdings nicht im Ich, sondern in dem, was im Menschen als so eine Art Schlacke vom Mond, als Erkenntnisrest und Überbleibsel einer früheren Entwicklung des Menschen heute noch existiert – 

und von der man ja froh sein muss, dass man sie hat, weil ohne sie weder die alte Art einer Erkenntnis noch diese neue Art einer erdenhaften Erkenntnis durch das Ich möglich wäre. –

Man muss also auf der Grundlage dieser alten Art der Monden-Erkenntnis stehen, man darf sich freuen über die Erkenntnis-Bilder, die sie Einem vermittelt, man muss aber immer im inneren Erkenntnis-Auge behalten, dass – auf ihr stehend – ein völlig anderes Erkenntniserleben neu hinzukommend angestrebt werden muss. 

 

Je mehr man auf diesem Ich-Erkenntnis-Wege sich entwickelt, 

je mehr man von dieser Tat-Erkenntnis eines wirklichen reinen Denkens wie an einem Zipfel fassen kann –

Es ist also zweifellos: in dem Denken halten wir das Weltgeschehen an einem Zipfel, wo wir dabei sein müssen, wenn etwas Zustandekommen soll.  

schrieb Rudolf Steiner in seiner „Philosophie der Freiheit“ (GA 4, S. 49) –

desto mehr wird man sich auch darüber im Klaren sein, dass das, was wirkliche Ich-Entwicklung ist und was eine im Ich, im Innersten des Menschen sich vollziehende Erkenntnistat ist, immer auch Geist-Erkenntnis sein muss –

Was im Ich lebt, ist dieselbe geistige Substanz, die die Welt durchwebt und durchlebt als Geistiges.

auch wenn die Ich- und Freiheits-Erkenntnis der „Philosophie der Freiheit“ ersteinmal nur rein philosophisch und im Gedanklichen sich vollzieht.

 

Auch wenn die Leute heute die „Philosophie der Freiheit“ Rudolf Steiners für „total abstrakt“ 

sowie für unpraktisches „Rumgedenke“ halten, das mit den wichtigen Aufgaben in dieser Welt nichts zu tun hat, so muss letztlich eine solche Erkenntnis-Tätigkeit ganz harmonisch, organisch und natürlich – 

also ganz aus der Sache heraus, weil das Ich etwas rein Geistiges ist – 

in eine geisteswissenschaftliche, also anthroposophische Erkenntnis der Welt einmünden:

Der erste Schritt war zu solchen Abstraktionen. Sobald man aber die innere Stoßkraft des Seelenlebens noch ein Stück weiter entwickelt über diese Abstraktionen heraus, geht es in das spirituelle Leben hinein. Es gibt keinen gesunden Weg der neueren Mystik als durch das energische Denken durch.     Der nächste Schritt ist, dass dann über dieses energische Denken hinaus zum wirklichen Erleben des Spirituellen gegangen wird.

 

Aber da gibt es keinen Zwang und keinen Automatismus, denn das entwickelt sich aus sich selbst heraus: 

Je mehr der Mensch zu diesem Erlebnis seines Ich kommt, je mehr er erst einmal im gewöhnlichen Bewusstsein erfassen und denken lernt, was dieses Ich ist und was mit ihm zu ergreifen ist –

und das ist natürlich und nur zum Beispiel die „Philosophie der Freiheit“ Rudolf Steiners sowie die Darstellungen der Anthroposophie selber –

desto mehr wird er sich dadurch schon ganz organisch und harmonisch an die Grenze der wirklichen, realen geistigen Welt gestellt sehen, an der er selber zu entscheiden hat, wie kräftig er sich fühlt geistig, um diese Grenze zu überschreiten.  

 

Wer also nicht lernen will, wirklich aktiv und als eine Taterkenntnis 

den dieser Welt zugrunde liegenden Geist in seinem Ich zu erfassen – 

wenigstens ersteinmal nur an einem Zipfel – 

indem er dieses Ich aus sich heraus bewegt – 

indem er also nicht mehr sein altes, passives Erkenntnis-Kopf-Kino von den Dingen dieser äußeren Sinneswelt bewegen und herumschubsen lässt –

der wird weder mit dem eigentlichen Erkenntnisimpuls der „Philosophie der Freiheit“ noch mit der Geist-Erkenntnis der Anthroposophie selber – 

die sich ganz organisch aus diesem Geistimpuls der „Philosophie der Freiheit“ ergibt –

wirklich etwas anfangen können. 

  

Aber selbst für den, der von sich glaubt, dass er etwas damit anfangen kann, 

selbst für den wird diese ganze Angelegenheit immer noch schwer genug sein. Wie gesagt: es gilt hier etwas zu entdecken, von dem gesagt wird, und von dem man auch bis dahin selber glaubte, dass es das gar nicht gibt. Rudolf Steiner berichtet diesbezüglich – nur zum Beispiel – von einem Gespräch, das er damals mit dem bekannten Philosophen Eduard von Hartmann führte: 

Wenn ich in meiner «Philosophie der Freiheit» vom reinen Denken spreche, so war diese Bezeichnung für die damaligen Kultur Verhältnisse schon deplaciert; denn Eduard von Hartmann sagte mir einmal: «Das gibt es gar nicht; man kann nur an Hand der äußeren Anschauung denken!» Ich konnte ihm darauf nur antworten: «Man muss es probieren; man wird es dann schon lernen und zuletzt auch wirklich können.» 

Es hängt eben alles an dieser Entwicklung des reinen Denkens, das aber nicht eine Kopftätigkeit bleiben darf, sondern eine Willenstätigkeit werden muss:

Nehmen Sie also an, Sie könnten Gedanken im reinen Gedankenflusse haben. Dann beginnt für Sie der Moment, wo Sie das Denken bis zu einem Punkte geführt haben, an dem es gar nicht mehr Denken genannt zu werden braucht. Es ist im Handumdrehen – sagen wir im Denkumdrehen – etwas anderes geworden. Es ist nämlich dieses mit Recht «reines Denken» genannte Denken reiner Wille geworden; es ist durch und durch Wollen. Sind Sie im Seelischen so weit gekommen, dass Sie das Denken befreit haben von der äußeren Anschauung, dann ist es damit zugleich reiner Wille geworden. Sie schweben, wenn ich so sagen darf, mit Ihrem Seelischen im reinen Gedankenverlauf. Dieser reine Gedankenverlauf ist ein Willensverlauf. Damit aber beginnt das reine Denken, ja sogar die Anstrengung nach seiner Ausübung, nicht nur eine Denkübung zu sein, sondern eine Willensübung, und zwar eine solche, die bis in das Zentrum des Menschen eingreift. Denn Sie werden die merkwürdige Beobachtung machen: Erst jetzt können Sie davon sprechen, daß das Denken, wie man es im gewöhnlichen Leben hat, eine Kopftätigkeit ist. Sie haben ja vorher gar kein Recht, davon zu sprechen, dass das Denken eine Kopftätigkeit ist, denn das wissen Sie nur äußerlich aus der Physiologie, Anatomie und so weiter. Aber jetzt spüren Sie innerlich, dass Sie nicht mehr so hoch oben denken, sondern dass Sie beginnen, mit der Brust zu denken. 

Man muss sich mit diesen hilfreichen Charakterisierungen Rudolf Steiners immer wieder auseinandersetzen, sie hin und her wenden, sie in der einen oder in der anderen Weise in sich zu realisieren suchen, um den Punkt zu finden, um den es geht. 

«Man muss es probieren; man wird es dann schon lernen und zuletzt auch wirklich können.»

  

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Freiheit setzt im individuellen Leben des Menschen immer Ich-Entwicklung voraus wurde am 17.02.2022 unter Anthroposophie veröffentlicht.

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