Die Anschauungsart Goethes und der Anthroposophie bejaht den Gesichtspunkt der naturwissenschaftlichen Forschung

 

von Ingo Hagel

 

Allerdings muss man auch erkennen, dass die Fragen, die diese Naturwissenschaft aufwirft (zum Beispiel: Was ist Leben?) von ihr mit ihren Methoden, die rein auf das sinnlich Anschaubare gehen, nicht gelöst werden können. Denn dem Leben liegt ein Übersinnliches zugrunde, das nur mit den entsprechenden Methoden angeschaut werden kann (s. dazu zum Beispiel hier und hier und hier auf Umkreis-Online).

Anmerkung: Interessanterweise denken die meisten Wissenschaftler, die ich in meinem Leben als Naturwissenschaftler kennengelernt habe, dann auch wieder so verschwommen, das heißt nicht scharf genug, um diesen erkenntnismäßigen Knackpunkt ihrer wissenschaftlichen Arbeit überhaupt in ihr Bewusstseins zu bekommen. Sie sagen – im besten Falle -, das sei doch Philosophie, was heißt, fällt in ein Relikt eines altmodischen Forschungsbereichs, in dem man fälschlicherweise glaubte, auf diese Weise die Welt weiterbringen zu können. Im schlimmsten Falle sei es Mystik. In beiden Fällen ist man selber, der auf diese Dinge aufmerksam machen will, als Wissenschaftler natürlich erledigt.

Man muss erfassen, auf welchem Gebiet die Naturwissenschaft überhaupt zu Ergebnissen kommen kann – und auf welchen nicht. Dem Naturwissenschaftler könnte dann verständlich werden, dass eine Erneuerung (sagen wir es modern: Relaunch) seiner Naturwissenschaft ansteht. Die Beobachtung der Sinneswelt soll dabei nicht aufgegeben werden, aber es wird – will man zu einer Lösung der auf dem bisherigen Wege unlösbaren Rätsel kommen – eine Erweiterung der wissenschaftlichen Arbeit und Methode geben müssen. Nicht nur das Anschauung der Sinneswelt – mit welchen Apparaten und Geräten auch immer – wird zur Methode gehören müssen, sondern auch das Anschauens des Denkens und der Ideenwelt – aber eben „nach naturwissenschaftlicher Methode“ (siehe oben) – wird in die wissenschaftliche Methode integriert werden müssen. Leider wollen die Leute im heutigen Wissenschaftsbetrieb davon nichts wissen.

Der ganze Impuls Goethes – wenn man ihn in denjenigen der Anthroposophie Rudolf Steiners weiter entwickelt denken kann – besteht darin, auf der Grundlage einer an der modernen Naturwissenschaft herangebildeten exakten Denkmethode von dem eine Anschauung (!) zu gewinnen, was als Nicht-Sinnliches dem Sinnlichen der Welterscheinungen (zum Beispiel dem toten Anschaubaren der lebendigen Pflanzenwelt als Objekt der Bio-Logie) zugrundeliegt: Rudolf Steiner (Hervorhebungen IH):

Der Forscher der Sinneswelt lenkt seine Wissenschaft nach außen, nach den Ergebnissen. Der Forscher des Geistes betreibt Wissenschaft als Vorbereitung des Schauens. Beginnt das Schauen, dann muss die Wissenschaft bereits ihren vollen Beruf erfüllt haben. Will man dann sein «Schauen» Hellsehen nennen, so ist es «exaktes Hellsehen». Wo die Wissenschaft des Sinnlichen endet, da beginnt diejenige des Geistes. Der Geistesforscher muss vor allem seine ganze Denkweise an der neueren Wissenschaft vom Sinnlichen herangebildet haben. Daher ist es, dass die heute getriebenen Wissenschaften in das Gebiet einmünden, das die spirituelle Wissenschaft im modernen Sinne eröffnet.

Das heißt, die Methoden der heutigen Wissenschaft führen – wenn man sie nur im Denken gründlich genug betreibt, was heute leider nicht der Fall ist – durch sich selbst in das Gebiet einer Wissenschaft hinein, die sich immer mehr von einer äußeren Anschauung der Sinne löst, das heißt vergeistigt, spiritualisiert. Nicht um eine Abschaffung des Denkens kann es daher mit Blick auf diese Vertiefung der Wissenschaft gehen. In einem Brief weist Steiner auf die große Bedeutung eines gut ausgebildeten Intellektes auch für den Bereich des geistigen Schauens hin:

Es kann gar nicht stark genug betont werden, dass man durch das Intellektuelle am sichersten auch in das Wesen des geistigen Schauens eindringt. Daneben wird es aber gewiss gut sein, wenn Sie im Sinne meines Buches «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» vorwärts zu kommen suchen. Man kann recht weit kommen, wenn man sich an die in diesem Buche gegebenen Ratschläge wirklich hält. Immer ist aber zu berücksichtigen: gefunden können die Wahrheiten der Anthroposophie nur durch schauendes Erkennen werden; liegen sie aber als gefundene vor, dann kann die Intellektualität alles durchdringen, wenn diese nur wirklich in freier, innerer Logik weit genug gehen will. 

Damit erteilt Rudolf Steiner allen mystischen Schwaflern „höherer Erkenntnisse“, die nicht denken wollen, eine klare Absage. Natürlich macht man sich in einer Zeit, die immer weiter auf wissenschaftlichem, kulturellem und sozialem Gebiet in den Materialismus hineinschlittert, mit solchen geistigen Anschauungen nicht beliebt. Der Unwille, über die Außenwelt hinaus etwas – nämlich sein Denken – in die Anschauung zu bekommen, hat gigantische Ausmaße angenommen. Bereits Rudolf Steiner beklagte

das in den letzten Jahrzehnten versumpfende Bürgertum, das vollständig in Schlaf versunkene Bürgertum, das keine Beziehungen hat, wenn es geistiges Leben treibt, zu dem wirklichen Inhalt dieses Geisteslebens. Von solchen Voraussetzungen aus kann man natürlich nicht irgendwie an den Goetheanismus herankommen. 

Anmerkung: Zu diesem Bürgertum, das aus ihren veralteten und den Zeiterfordernissen nicht mehr adäquaten Denkgewohnheiten heraus vollständig in die Dekadenz und den Niedergang kommen wird, wenn es sich nicht zum Erfassen einer spirituellen Weltanschauung (Anthroposophie) durchringen kann, siehe auch Rudolf Steiners Ausführungen hier.

Diese Verhältnisse sind heute wahrlich nicht besser geworden. Einfacher ist es natürlich, im Wernerschen Sinne für eine naiv-realistische (aber anti-goethesche) Auffassung der Sinneswelt Reklame zu machen. Aber das geht nur auf Kosten der Impulse Goethes und Rudolf Steiners.

Hier weiterlesen: 

Teil 1: Zu Götz Werners missverstandener Auffassung von Goethes Weltanschauung

Teil 2: Götz Werners kritische Stellung zur Naturwissenschaft hat in dieser Weise nichts mit Goethe zu tun

Teil 3: Die Anschauungsart Goethes und der Anthroposophie bejaht im vollen Sinne den Gesichtspunkt der naturwissenschaftlichen Forschung

Teil 4: Götz Werner übersieht die Grundbegriffe einer modernen Erkenntnis- und Wissenschafts-Praxis

Teil 5: Ohne den Willen zum Denken ist aus dieser Sackgasse der anschauenden Sinneswahrnehmung nicht herauszukommen

Teil 6: Selbst Schiller konnte Goethes Anschauung eines Ideellen nicht verstehen

Teil 7: Zur Bedeutung einer Beobachtung des Denkens für eine wirklichkeitsgemäße Erfassung der Welt

Teil 8: Viele meinen, Goethes Weltanschauung sei etwas total Überflüssiges 

Teil 9: Götz Werners verpasste eine große Chance, die Soziale Dreigliederung ins Bewusstsein der Menschen zu bringen

 

 

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Die Anschauungsart Goethes und der Anthroposophie bejaht den Gesichtspunkt der naturwissenschaftlichen Forschung wurde am 18.11.2014 unter Hide veröffentlicht.

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