Die Eiserne Jungfrau – Zum künstlerischen Erfassen der Welt

 

von Ingo Hagel 

   

Immer mal wieder wurde hier auf Umkreis-Online auf diese bedeutsame Aussage Rudolf Steiners hingewiesen, der nach dem Ersten Weltkrieg den Zweiten Weltkrieg bereits heranrollen sah und ein „verwüstetes Europa“ prognostizierte, wenn noch drei Jahrzehnte an den Universitäten so materialistisch gelehrt werden würde, wie dort eben gelehrt wurde – und bis heute noch gelehrt wird:  

Lassen Sie drei Jahrzehnte noch so gelehrt werden, wie an unseren Hochschulen gelehrt wird, lassen Sie noch durch dreißig Jahre so über soziale Angelegenheiten gedacht werden, wie heute gedacht wird, dann haben Sie nach diesen dreißig Jahren ein verwüstetes Europa.

Zu einer anderen Gelegenheit verglich Rudolf Steiner

dasjenige, was heute in einer so trostlos abstrakten Form unseren jungen Leuten gelehrt wird, wenn sie an die Universitäten kommen,

mit den

Folterkammern in den mittelalterlichen Schlössern, wo man die Leute in die «eiserne Jungfrau» hineingetan und sie dann mit Spießen durchdrungen hat … 

 

Die meisten Leute werden diesen Vergleich der seelisch-geistigen Wirkungen dieser Lehrinhalte der Universitäten 

mit der „eisernen Jungfrau“ absolut haltlos finden. Es geht allerdings nicht um eine Abschaffung der Naturwissenschaft beziehungsweise dessen, was man an der Naturwissenschaft lernen kann. Es geht um eine geistige Ergänzung, ohne die das, was diese Naturwissenschaft beobachtet, überhaupt nicht verstanden werden kann. – 

Über diese Widersprüche und unlösbaren Rätselfragen dessen, was die Naturwissenschaft an der Sinneswelt beobachtend herausarbeitet, habe ich oft hier auf Umkreis-Online in den entsprechenden Rubriken geschrieben. –

Dieser Zerfetzung und Zerfleischung des Seelengefüges der auszubildenden jungen Menschen muss ein künstlerisches Erfassen der Natur entgegengestellt werden. Rudolf Steiner:

Es muß dasjenige, was heute in einer so trostlos abstrakten Form unseren jungen Leuten gelehrt wird, wenn sie an die Universitäten kommen, überall auslaufen in künstlerisches Erfassen.

 

Aus der Vorrede zur Erstausgabe seiner „Philosophie der Freiheit“ geht hervor, 

dass Rudolf Steiner bereits die in diesem Werk dargestellte gedankliche Methode als eine Begriffskunst ansah und damit als eine Grundlage für die Behandlung aller weiterer Wissenschaften und Problemfelder des menschlichen Lebens – 

neben und ausgehend von dieser „Philosophie der Freiheit“, die das Alles mit Blick auf die Frage einer menschlichen Freiheit sowie einer menschlichen Sittlichkeit – das heißt im konkreten Handeln – behandelt – 

im Sinne eines „künstlerischen Erfassens“ (GA 4 S. 270):     

Genau in demselben Sinne ist die Philosophie eine Kunst. Alle wirklichen Philosophen waren Begriffskünstler. Für sie wurden die menschlichen Ideen zum Kunstmateriale und die wissenschaftliche Methode zur künstlerischen Technik.

Wie sich die Philosophie als Kunst zur Freiheit des Menschen verhält, was die letztere ist, und ob wir ihrer teilhaftig sind oder es werden können: das ist die Hauptfrage meiner Schrift. Alle anderen wissenschaftlichen Ausführungen stehen hier nur, weil sie zuletzt Aufklärung geben über jene, meiner Meinung nach, den Menschen am nächsten liegenden Fragen. Eine «Philosophie der Freiheit» soll in diesen Blättern gegeben werden. 

Und: 

… in dieser Schrift ist das Ziel ein philosophisches: die Wissenschaft soll selbst organisch-lebendig werden.

 

Aber wie kommt man zu diesem „künstlerischen Erfassen“ der Natur? –  

Außer durch die „Philosophie der Freiheit“? –

Selbst wenn man gutwillig und geistig sehnsüchtig sein sollte, wird man sich sicher fragen, wie man das denn macht. Und überhaupt wird man sich wohl fragen, was denn ein „künstlerisches Erfassen“ der Natur sein soll? Offensichtlich werden hier doch zwei Gebiete des geistigen Lebens – Kunst und Wissenschaft – zusammengeworfen, die –

gemäß den sogenannten modernen, wissenschaftlichen Denkgewohnheiten –

nichts miteinander zu tun haben.  

 

Aus den verschiedenen Darstellungen Rudolf Steiners kann aber klar werden, 

dass ein künstlerisches Erfassen der Natur immer dann beginnt, wenn man an dieser mehr erfasst und zu erleben beginnt, als eben die rein mineralisch-physische Form und deren tote Gesetzmäßigkeiten darstellen. Mit künstlerischem Erfassen der Natur meint Rudolf Steiner wenigstens ein empfindendes Ergreifen derjenigen Gesetzmäßigkeiten, die allem Leben und allen lebendigen Organismen zugrundeliegen. –

Also derjenigen übersinnlichen Gesetzmäßigkeiten und Kräfte des Lebens, die die toten Stoffe erst in sich aufnehmen und in ihr lebendiges, organisches Gefüge bringen können. – 

 

Zu einem Erfassen und Aufnehmen dieser Gesetzmäßigkeiten könnten junge Menschen durchaus kommen, 

wenn sie geeignete Lehrer hätten, die ihnen die Phänomene der ganz gewöhnlichen Naturwissenschaft in einer solchen Weise geordnet darstellen würden – 

und um das aufzunehmen, braucht man nicht Esoteriker und Geistesforscher zu werden – 

dass eben der in diesen Phänomenen liegende geistige Zusammenhang gedanklich anschaulich wird – und erst so für die Seele einen menschlichen Sinn ergibt. – 

Ohne dieses wird allerdings das Leben immer sinnloser werden. –

Zu diesem Ergreifen kann man in einer ersten Näherung bereits kommen, indem man geduldig nachdenkend das studiert, was als Anthroposophie von Rudolf Steiner in die Welt gebracht worden ist – und mittlerweile von Jedem im Internet nachgelesen werden kann.

Und nur ein Beispiel – wirklich nur ein Beispiel von so vielen – über die Art eines künstlerischen Erfassens und einer künstlerischen Darstellung wissenschaftlicher Zusammenhänge gibt es hier in dieser Darstellung Rudolf Steiners zum Vergleich der Skelette eines Gorillas und eines Menschen für die Zuhörer des ersten medizinischen Kurses am Goetheanum. –    

  

Wer aber ein Hinarbeiten zu einem künstlerischen Ergreifen dieser Gesetzmäßigkeiten des Lebens – 

nicht des Sterbens –

auf diese Weise nicht will, weil er nicht „Esoteriker“ werden will oder weil – wie er meint – er „strenger Denker bleiben“ will –

was aber eigentlich nichts anderes heißt, als dass er weiterhin immer nur materialistisch, das heißt an der Sinneswelt entlangdenken will –

der hat allerdings die Möglichkeit, anhand der „Philosophie der Freiheit“ Rudolf Steiners – 

diese ist auf den ersten und zweiten Blick absolut unesoterisch, völlig ungeisteswissenschaftlich, rein gedanklich, abstrakt, intellektuell, philosophisch stringent – also für den „normalen“ Menschen der reinste Horror – siehe dazu auch hier auf Umkreis-Online –

so langsam zu einem Ergreifen dieser lebendigen, also künstlerischen Gesetzmäßigkeiten zu kommen. Diese bestehen nicht in einem Sterben –

so wie das Denken an der Sinneswelt entlang immer ein kleiner Sterbeprozess ist –

sondern in einem Leben. Dazu muss man allerdings erst einmal kommen, dazu muss man sich durcharbeiten, und dazu muss das Denken beobachtet werden können –

denn das ist die Grundlage und der Kern der „Philosophie der Freiheit“. –

Rudolf Steiner dazu in seiner „Philosophie der Freiheit“ (S. 145):

Wer das Denken beobachtet, lebt während der Beobachtung unmittelbar in einem geistigen, sich selbst tragenden Wesensweben darinnen. 

 

Diese „Philosophie der Freiheit“ arbeitet intensiv aus, 

was bereits der große Philosoph und Wissenschaftler Leibniz erkannt und nur kurz ausgesprochen hat, womit dann aber die gesamte nachfolgende Naturwissenschaft kaum mehr etwas anfangen konnte, was sie also übersah und womit sie letzlich nichts mehr zu tun haben wollte. Rudolf Steiner zu Leibniz (GA 204 S. 158): 

(Der Mensch) konnte durch diese Geistigkeit begreifen, was in der äußeren Sinneswelt ist; aber er begriff sich selber nicht als Geist. Kaum hatte man noch eine Ahnung, was ein solcher Satz bedeutete, wie der des Leibniz, der da sagte: «Nichts lebt im Intellekt, was nicht vorher in den Sinnen gelebt hat, außer dem Intellekt selber.»      

 

… während Leibniz ganz und gar durchschaute, daß der Intellekt ein durch und durch Geistiges ist, …     

Der Mensch arbeitet also im gewöhnlichen Leben mit diesem Geistigen in sich, erkennt es allerdings nicht. Das versucht die „Philosophie der Freiheit“ –

in ungewöhnlichen Leben – Rudolf Steiner nennt das in der „Philosophie der Freiheit“ einen „Ausnahmezustand“ –

zu ändern, das heißt einer Beobachtung und Anschauung zuzuführen. 

 

Erfasst man dieses Geistige in seinem Intellekt rein, also im reinen Denken – 

das heißt ohne dass einem die Beobachtungen der Sinneswelt dieses reine Denken verstellen, verdecken und verdunkeln, so dass man dann glaubt, das gäbe es gar nicht –

erfasst man weiterhin dieses Geistige des Intellekts als eigene Erkenntnistätigkeit so, wie es die „Philosophie der Freiheit“ Rudolf Steiners vorlebt, dann ist man bereits – 

aber alles erstmal rein philosophisch-gedanklich – 

an einem Erfassen dieser lebendigen Gesetzmäßigkeiten dran, an einem Erfassen also dieser künstlerischen Gesetzmäßigkeiten, die alles Lebendige durchdringen.  

Ist man daher in einer einigermaßen angemessenen Weise studierend und sich verwandelnd durch Rudolf Steiners „Philosophie der Freiheit“ hindurchgegangen, dann hat man gute Chancen, an den dort angeregten Denkbewegungen etwas von diesen lebendigen Gesetzmäßigkeiten in einer wenigstens anfänglichen Weise mitzubekommen. 

 

Aber dazu muss man sich erst einmal zu einem richtigen Lesen der „Philosophie der Freiheit“ hinarbeiten,          

das heißt lernen, „in Gedanken zu leben. Rudolf Steiner dazu (GA 232 S. 11):

Dieses Leben in Gedanken, das führt ja zuletzt zu dem, was Ihnen entgegentritt, wenn Sie in der richtigen Weise die «Philosophie der Freiheit» lesen wollen. Wenn Sie in der richtigen Weise die «Philosophie der Freiheit» lesen wollen, so müssen Sie dieses Gefühl eben kennen: in Gedanken zu leben. Die «Philosophie der Freiheit» ist ganz etwas, was aus der Wirklichkeit heraus erlebt ist; aber zu gleicher Zeit ist sie etwas, was ganz und gar eben aus dem wirklichen Denken hervorgegangen ist.

 

Die Menschen heute verstehen allerdings ihr Denken – 

und selbstverständlich überhaupt alles Denken –  

als alles Andere denn als ein Leben. Sie verstehen es im Grunde genommen als ein Sterben – 

und sie liegen mit Blick darauf, wie das Denken heute einzig und allein sich vollzieht, überhaupt nicht falsch –

und daher als etwas, was – wie sie glauben – zu vermeiden ist. Zu diesem oben angeführten Gefühl 

in Gedanken zu leben 

muss man sich eben erst einmal mühsam hinarbeiten, wenn man zu einem künstlerischen Erfassen der Welt kommen will. Zu dem Denken, dass einen nur zum Sterben führen kann –

das allerdings nicht abzulehnen ist, weil das eben zum normalen, gewöhnlichen Alltagsbewusstsein und auch zum wissenschaftlichen Erkennen der Sinneswelt gehört –

muss ein Denken hinzuerworben werden, das zum Leben führt. Diese Art eines begrifflichen, lebendigen Erkennens führt allerdings nicht zu einem bloßen Abbilden der in den Sinnesdingen liegenden Gedankenzusammenhänge, sondern zu einem künstlerischen Erfassen derselben.    

 

Ach! – sagen die Leute – das mit einem künstlerischen Erfassen der Natur interessiert uns ja überhaupt nicht. 

Wir lieben diese Wissenschaft, die uns Kühlschränke, Autos und Fernseher gebracht hat. Auch sind wir an irgendwelchen ungreifbaren, wortlosen, begrifflichen Dingen, die da sein sollen –

in der „Philosophie der Freiheit“ kann man die zu vertieftem Nachdenken anregenden Sätze lesen:

Durch das Denken entstehen Begriffe und Ideen. Was ein Begriff ist, kann nicht mit Worten gesagt werden. Worte können nur den Menschen darauf aufmerksam machen, daß er Begriffe habe. –

die man nicht sehen und nicht anfassen kann, nicht interessiert. Wir wollen einfach nur, dass Alles seine Ordnung hat, dass wir Arbeit haben und Geld verdienen, und dass wir wieder der Regierung und der Wissenschaft vertrauen können.  

 

Die Menschen werden durch die Erfahrungen in der Sinneswelt –

denn etwas Anderes wird die Menschen, die nur die Sinneswelt gelten lassen wollen, nicht lehren können –

lernen müssen, dass sie mit solchen Wünschen nur verworrenen und nicht erfüllbaren Träumen hinterherjagen. Sie werden lernen müssen, dass, wenn sie nicht selber sich die geistigen Werkzeuge zum Gestalten ihres sozialen Organismus schaffen, kein Anderer einen solchen gedeihlichen, fruchtbaren, heilsamen sozialen Organismus für sie hinstellen wird, nur damit die Menschen weiter schlafen können. Wir leben eben im Zeitalter der Bewusstseinsseele, und da ist alles auf die gedankliche Leistungsfähigkeit des individuellen Menschen – 

der sich dann auch mit anderen Menschen zusammenschließen kann –

gestellt, also auf Wachheit, nicht auf eine „gute Obrigkeit“, die Alles schon bestens regeln wird. 

 

Wache Menschen werden sich mit anderen wachen Menschen zusammenschließen müssen, 

um –

ankämpfend gegen die ungeistigen und unsozialen Verhältnisse einer uralten, längst abgelaufenen Zeit –

ihre Angelegenheiten in einem modernen Sinne neu zu regeln. Die Menschen sagen aber: 

Ah-Bah! Die Ecke, aus der das kommt, ist Alles Esoterik, die nicht zu verstehen ist und zu keinem Mehrwert führt. Damit wollen wir nichts zu tun haben, denn wir sind klar denkende und mit beiden Füßen auf dem Boden stehende Realisten und Praktiker. 

Rudolf Steiner war mit Blick auf dieses Nicht-Verstehen-Können ganz anderer Auffassung:

Die meisten Menschen werden sagen: Wenn wir nicht selber hellsichtig geworden sind, so können wir das höchstens studieren. – Gut, aber man kann es studieren, und immer wieder und wiederum ist gesagt worden, der gewöhnliche Intellekt kann es einsehen. Heute soll hinzugefügt werden, warum der gewöhnliche Intellekt es einsehen kann. …       

  

Die verlogenen, völlig absurden wissenschaftlichen, medialen, politischen und sonstigen Monstrositäten 

im Zusammenhang mit dem heute vielgepriesenen sogenannten „modernen, auf Wissenschaft gegründeten“ sozialen Leben – 

sowie die sonstigen vorsintflutlichen mentalen Verfasstheiten der bundesrepublikanischen Bevölkerung, die das Alles ermöglicht hat – was allerdings nicht von geistiger Energie und Ausdauer zeugt – 

die mittlerweile – 

wenn man auf den richtigen Kanälen unterwegs ist – das heißt solange es diese noch gibt – die wenigstens die Lüge eine ebensolche nennen, auch wenn sie noch nicht auf dem Wege sind, diese Lügen als solche zu verhindern, indem sie zum Beispiel ein wirklich freies, das heißt von allen geldgebenden und sonstigen administrativen, politischen und so weiter Interessen freies Geistesleben realisieren wollen beziehungsweise ein von der Politik unabhängiges Wirtschaftsleben und so weiter – 

mehr zur Sozialen Dreigliederung – das heißt zu einem „künstlerischen Erfassen“ auf sozialem Gebiet siehe hier auf Umkreis-Online – 

immer mehr auch Denjenigen bewusst werden könnten, die bisher beide Augen zugemacht haben – diese Monstrositäten könnten im Grunde genommen eine düstere Perspektive sichtbar machen. Diese wird sich nur immer weiter und immer düsterer entwickeln, wird nur immer weiter in die Folterkammern und den Eisernen Jungfrauen mittelalterlicher Ungeistigkeit führen wird, wenn sie nicht durch die Bemühung um ein künstlerisches Erkennen im angeführten Sinne verwandelt wird.             

   

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Die Eiserne Jungfrau – Zum künstlerischen Erfassen der Welt wurde am 16.01.2023 unter Zum Zeitgeschehen veröffentlicht.

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