Die Tänzerin – Berufswunsch

 

von Stella Hagel 

 

Die Tänzerin 

Viola, viereinhalb Jahre, trägt ein zauberhaftes Kleidchen. „Schauen sie doch mal, Frau Hagel“, macht mich die Erzieherin aufmerksam, „die Viola zieht für die Eurythmie immer ein besonders schönes Kleid an.“ „Ja“, meint diese befriedigt und stolz, indem sie ihr Beinchen äußerst graziös in die Luft streckt um sich die Eurythmieschuhe anzuziehen. „Und später gehe ich ins Billet.“ 

 

Berufswunsch 

Viola sitzt am Frühstückstisch neben der dreijährigen Imke gegenüber. Diese kleine Dame hat einen sehr gesunden Appetit und verlangt noch ein Brot. „Nein!“, bestimmt Viola streng, „Du hast jetzt genug gegessen, Du kriegst nichts mehr!“ „Aber Viola“, protestiert die Erzieherin, „warum bist Du denn so streng mit der armen Imke?“ Und dann fragt sie noch: „Was willst Du denn später mal werden?“ „Kindergärtnerin will ich mal werden“, kommt es prompt zurück, „und wenn Du gestorben bist, sitze ich auf Deinem Platz.“ 

 

Pfeifkonzert 

An und für sich hat Viktor, sechs Jahre alt, nichts gegen die Eurythmie einzuwenden. Gelassen und mit gleichbleibender Gutmütigkeit tut er meistens, was er soll. Dabei bewegt er sich trotz seiner durchaus schlanken Gestalt etwas behäbig, und hüpfen tut er eigentlich nur auf besondere Einladung hin. Dafür ist Viktor im Kopf äußerst pfiffig und wach, was uns durch manche kluge Äußerung, die nicht einer gewissen Spitzfindigkeit entbehrt, immer wieder in Erstaunen versetzt. 

An einem besonders warmen Tag, an welchem die Eurythmie die Kinder und auch mich ein wenig angestrengt hatte, gibt Viktor eine offensichtlich erst vor kurzem gelernte Redewendung auf seine köstliche trockene Art zum besten. „Frau Hagel“, meldet er, „auf noch eine Eurythmie heute – kann ich pfeifen!“ Und während ich versichere, dass wir bei dieser Hitze auf keinen Fall „noch eine Eurythmie“ machen, fangen die anderen Kinder, welche die neue Redewendung nicht kennen an zu pfeifen. Auf die Eurythmie! 

 

„Wie hältst Du’s mit der Religion?“ 

Rebecca, sechs Jahre alt, kommt nach den Sommerferien in die Schule. Sie freut sich: „Ich geh in Religion!“ Sarah, ebenfalls sechs Jahre alt: „Ich weiß noch nicht, ob ich in Religion gehe.“ Ich verwundert: „Ja, könnt Ihr das denn selbst entscheiden?“ Rebecca: „Ja, das können wir wählen.“ Viktor, meistens klug und allwissend, ist heute einem Irrtum erlegen: „Ääh!“ macht er abfällig. „Ääh, Religion! Da muss man ja rechnen. Ääh!“ Entrüstung bei den Damen: „Neiiin, das stimmt nicht, da muss man nicht rechnen!“ „Nein“, belehrt Rebecca mit Nachdruck, „da spricht man von Gott!“ „Ja!“ bekräftigen beide: „Da spricht man von Gott!“ Reuig murmelt Viktor, der seinen Irrtum sofort einsieht: „Scheiße …. ja …. stimmt.“