Die „Philosophie der Freiheit“ ist aus übersinnlichem Erleben heraus geschrieben

von Ingo Hagel

Was meint Rudolf Steiner, wenn er sagt, die „Philosophie der Freiheit“ sei nicht so gemeint gewesen, dass man von deren Inhalten nur Kenntnis nimmt? Auf der einen Seite meint er natürlich, dass man dieses Buch nicht nur als Information mit dem passiven Kopf des Alltagsbewusstseins auffassen soll. –

Deren Inhalte wollte Steiner sicher auch den Menschen mitteilen, aber es kam ihm auf etwas ganz Anderes noch an:

Dieses Buch, «Die Philosophie der Freiheit», ist nicht so wichtig durch das, was drinnen steht. Natürlich, das, was drinnen steht, das wollte man schon auch dazumal der Welt sagen, aber das ist nicht das Allerwichtigste, sondern das Wichtige bei diesem Buche «Die Philosophie der Freiheit» ist, daß zum ersten Mal ganz und gar selbständiges Denken in diesem Buche ist. –

Auf der anderen Seite bedeutet das, dass man die Inhalte dieses Buches so wie mathematische, geometrische Inhalte innerlich aktiv schaffend nachvollziehen soll in jedem Moment, mit jedem Satz, mit jeder Zeile, mit jedem Wort. Dabei muss man aber wohl aufpassen, dass man beim Lesen der Inhalte der „Philosophie der Freiheit“ – 

die anscheinend so sehr zum Kopf sprechen, was aber ein Missverständnis des Lesers darstellt –

diese Inhalte eben nicht mit dem Kopf liest. 

 

Aber wie macht man das? 

Das ist auch aus dem Grunde schwierig, weil man glaubt, diese Inhalte der „Philosophie der Freiheit“ seien aus dem Kopf heraus geschrieben und könnten mit dem Kopf verstanden werden. Das ist aber ein Irrtum, wie Rudolf Steiner eben in seinem Lebensgang beschreibt, dass er beim Abfassen dieses Buches sich stets darum sorgte, dass er das mystische – das heißt das übersinnliche – Erleben bis in die Formulierungen hinein aufrecht erhielt. Auch er musste also achtgeben, dass er nicht beim Schreiben aus diesem übersinnlichen Erleben in den Kopf rutschte (GA 28 S. 178): 

Während ich an meiner «Philosophie der Freiheit» arbeitete, war meine stete Sorge, in der Darstellung meiner Gedanken das innere Erleben bis in diese Gedanken hinein voll wach zu halten. Das gibt den Gedanken den mystischen Charakter des inneren Schauens, macht aber dieses Schauen auch gleich dem äußeren sinnenfalligen Anschauen der Welt. Dringt man zu einem solchen inneren Erleben vor, so empfindet man keinen Gegensatz mehr zwischen Natur-Erkennen und Geist-Erkennen. Man wird sich klar darüber, daß das zweite nur die metamorphosierte Fortsetzung des ersten ist.

Weil mir das so erschien, konnte ich später auf das Titelblatt meiner «Philosophie der Freiheit» das Motto setzen: «Seelische Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode». Denn, wenn die naturwissenschaftliche Methode treulich für das Geistgebiet festgehalten wird, dann führt sie auch erkennend in dieses Gebiet hinein.

Da ist doch in diesen kurzen Zeilen ein gewaltiges Kapitel aufgeschlagen, das nach Bearbeitung drängt. So viele Fragen sind mit dem oben Angeführten verbunden, die Rudolf Steiner dort in seinem Lebensgang nicht weiter ausführt. Aber er ist an vielen anderen Stellen darauf eingegangen. 

 

Rudolf Steiner arbeitete also an seiner „Philosophie der Freiheit“. 

Dabei ging in ihm etwas Geistiges, Übersinnliches vor, das er als „mystisches Erleben“ bezeichnet. Die „Philosophie der Freiheit“ ist eben kein Buch des intellektuellen Kopfes. Nun musste diese „Philosophie der Freiheit“ mit Tinte aufs Papier, also geschrieben werden, letztlich in die Form schwarzer Druckbuchstaben auf Papier gebracht werden, in Worte gekleidet werden, da deren Gedanken anderen Menschen mitgeteilt werden sollten, da andere Menschen diese Gedanken wenigstens näherungsweise lesen können und dadurch zu dem Erlebnis gebracht werden sollten, aus dem der Autor heraus dieses Buch geschrieben hatte. 

Beim Aufschreiben von inneren geistigen Erlebnissen besteht immer die große Gefahr, dass man in das Ungeistige, Intellektuelle hineinrutscht, dass das eintritt, was Rudolf Steiner in seiner „Philosophie der Freiheit“ beschreibt, dass Worte eben keine Begriffe sind, dass sie nur auf – wortlose – Begriffe deuten (GA 4 S. 57): 

Durch das Denken entstehen Begriffe und Ideen, Was ein Begriff ist, kann nicht mit Worten gesagt werden. Worte können nur den Menschen darauf aufmerksam machen, daß er Begriffe habe.

 

In etwas anderen Worten drückt der Dichter Friedrich Schiller dieses Phänomen, 

dass man mit der Seele bestimmte Dinge erlebt, die man dann aber in die konventionelle Sprache ausfließen lassen muss, wenn man sie mitteilen will, so aus:

Spricht die Seele, so spricht, ach! schon die Seele nicht mehr.

Das Erlebnis der Seele ist etwas völlig anderes als das, was man dann darüber schreiben und in Worte bringen will. Wenn Rudolf Steiner also an seiner „Philosophie der Freiheit“ arbeitete, dann dachte er diese wohl mit denjenigen lebendigen, aber noch wortlosen Begriffen und Ideen –

ich habe hier schon darauf hingewiesen, dass Rudolf Steiner dieses Erlebnis als ein Abtasten des inneren Menschen bezeichnete – so Etwas verläuft nicht in Worten – 

die sich auf der Ebene der Seele, und noch nicht auf der Ebene des Wortes abspielen, die man als Autor von Büchern dann aber in Worten ausdrücken muss, um sich einigermaßen verständlich zu machen. Dabei kommt es zu einem Bruch zwischen dem inneren geistigen Erleben und dessen Darstellung in den Worten der Sprache, und man steht in der Gefahr, auf die tote intellektuelle, abstrakte Ebene des ehemals lebendigen Geistes herunterzurutschen. 

 

Und der Leser der heutigen materialistischen Zeit 

befindet sich ja sowieso nur auf dieser toten, abstrakten und intellektuellen Ebene des Wortes, weil er überhaupt nicht die blasseste Ahnung von dieser lebendigen, bewegten Geistwelt hat, aus der auch diese Gedanken der „Philosophie der Freiheit“ geschöpft sind. –

Hier habe ich darauf hingewiesen, dass auch den Gedanken unseres gewöhnlichen, alltäglichen Bewusstseins übersinnliche Bildekräfte zugrundeliegen. – 

Daher wird er, auch wenn der Autor der „Philosophie der Freiheit“ alle seine „Sorge“ walten lässt, diese seine Erlebnisse in den Worten, die er schreibt, nicht intellektuell abzutöten, in seinem materialistischen Unverstand diese lebendigen Worte erstmal auf die tote, materialistische Ebene herabzerren. Rudolf Steiners jahrzehntelanges Bemühen war, auch mit Blick auf seine „Philosophie der Freiheit“, auf diesen Irrtum, auf dieses Missverständnis immer wieder hinzuweisen und zu versuchen, dem Leser oder Zuhörer Hilfestellungen an die Hand zu geben, um dieses Missverständnis zu umgehen. –

 

Rudolf Steiner teilt also oben mit, dass seine „stete Sorge“ war, 

diese tote Ebene des Intellektes zu meiden, um durch die Art seiner Sprache in seiner „Philosophie der Freiheit“ dem Leser die Möglichkeit zu geben, an diese lebendige vorwortliche Ebene dieses Buches anknüpfen zu können, in dem er sich bemühte, 

in der Darstellung meiner Gedanken das innere Erleben bis in diese Gedanken hinein voll wach zu halten. Das gibt den Gedanken den mystischen Charakter des inneren Schauens, macht aber dieses Schauen auch gleich dem äußeren sinnenfalligen Anschauen der Welt.

 

Nachfolgend – ich wiederhole noch einmal oben Angeführtes – 

sagt Steiner in seinem Lebensgang folgendes (GA 28 S. 179):

Dringt man zu einem solchen inneren Erleben vor, so empfindet man keinen Gegensatz mehr zwischen Natur-Erkennen und Geist-Erkennen. Man wird sich klar darüber, daß das zweite nur die metamorphosierte Fortsetzung des ersten ist. 

Weil mir das so erschien, konnte ich später auf das Titelblatt meiner «Philosophie der Freiheit» das Motto setzen: «Seelische Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode». Denn, wenn die naturwissenschaftliche Methode treulich für das Geistgebiet festgehalten wird, dann führt sie auch erkennend in dieses Gebiet hinein.

Die „naturwissenschaftliche Methode“ fordert ja nichts anderes, als das deren Forschungs- und Untersuchungsinhalt aus der äußeren Sinneswelt entnommen werden muss. Genau so muss bei der übersinnlichen Forschung der geistige Inhalt aus der geistigen Welt als geistige Wahrnehmung entnommen werden. Geistige Welt darf daher nichts mit dem Kopf gedachtes sein, sondern genau so ein geistiges – also intuitives – Erlebnis sein, wie das Erfahren der Sinneswelt ein Wahrnehmungserlebnis durch die Sinne ist. Das Denken 

das heißt das Instrument einer Erforschung der geistigen Welt –

muss also Erfahrung, Beobachtung, Wahrnehmung werden. 

 

Ich erinnere in diesem Zusammenhang nicht nur an die entsprechenden Kapitel in der „Philosophie der Freiheit“, 

sondern auch an das Kapitel in Rudolf Steiners Grundlinien eine Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung (GA 2 S. 43): 

Das Denken als höhere Erfahrung in der Erfahrung 

Wie oft ist dort in diesem Kapitel die Rede von der Erfahrung des Denkens – und dass „eine Wissenschaft des Erkennens auf das Erfahrungsprinzip“ zu gründen ist! Und mit einer „Wissenschaft des Erkennens“ ist letztlich natürlich nicht nur das Erkennen der sinnlichen Welt, sondern das übersinnliche Erkennen einer übersinnlichen Welt gemeint. Dazu muss das Denken aber Erfahrung werden – was nur dadurch zu erreichen ist, dass das passive Denken des Kopfes überwunden und durch ein aktives willentliches Denken der Inhalte zum Beispiel der „Philosophie der Freiheit“ ersetzt wird. Darauf deuten oben angeführte Worte Rudolf Steiner in seinem Lebensgang hin.    

 

Die Sorge des Lesers der „Philosophie der Freiheit“, 

der nun um diese Zusammenhänge weiß und sich von ihnen leiten lassen will, könnte nun sein, den Weg aus diesen Andeutungen Steiners – 

die er an vielen Stellen mit Blick auf ein richtiges Studium der „Philosophie der Freiheit“ machte – und von denen ich viele hier auf dieser Homepage besprochen habe – 

für sich umzusetzen, um aus den gedruckten Worten der „Philosophie der Freiheit“, die auf Geistiges weisen, ebenfalls – irgendwann – zu dem inneren Schauen dieses Geistes zu kommen, aus dem heraus der Autor dieses Buch geschrieben hat.    

  

  

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