Rudolf Steiner zu Goethe und die Liebe


 

von Rudolf Steiner

 

 

Aus Nr. 32 der Rudolf Steiner Gesamtausgabe, Seite 133

 

Was für Homer der heidnische Götterglaube, was für Klopstock die Vorstellungen des Christentums: ein Element, durch das sich ihre Dichtungen über ein gewöhnliches Abbild der alltäglichen Wirklichkeit erheben und von einer idealen Welt durchtränkt, beseelt erscheinen, das ist für Goethe seine Auffassung der Liebe im weitesten Sinne.

Das Kapitel «Goethe und die Liebe» hat schon vielfache Bearbeitung gefunden; das Verdienst, gezeigt zu haben, dass für Goethe die Liebe nicht eine Eigenschaft seines Wesens ist neben anderen, sondern der Grundzug seines ganzen Dichtens und Denkens, dass sie seine Religion ist, dass alle seine Schöpfungen erst dann die richtige Würdigung erfahren, wenn man sie von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, gebührt den eingangs erwähnten Schriften Schröers.

Zeigt sich der Charakter von Goethes Anschauung von der Liebe naturgemäß vor allem in seinen Verhältnissen zur Frauenwelt, so geht sie doch immer mehr in jene spinozistische Weltliebe über, bei der sich das Individuum selbst vergisst und im Aufgehen in das All seine Seligkeit findet.

Es ist nichts leichter, als Goethes Verhältnisse zu den Frauen in ein falsches Licht zu rücken. Es muss ja auch besonders die Frauenwelt beunruhigen, wenn man hört, Goethe habe in seinem Leben zehnmal leidenschaftlich geliebt. Erwägt man aber den Kern aller dieser Liebesverhältnisse, so kommt man alsbald von jeder Anklage zurück. Von einer frivolen, die Frau erniedrigenden Auffassung der Liebe kann bei Goethe durchaus nicht die Rede sein. Er sucht in der Frau diejenigen Seiten des menschlichen Geistes, die dem Manne abgehen: natürliche Anmut, immerwährende Frische und Kindlichkeit. Das ist für ihn das «Göttliche im Weibe», das «Ewigweibliche», zu dem er verehrungsvoll emporblickt und in dieser Verehrung des geliebten Wesens, sein eigenes Selbst vergessend, aufgeht. Die Geliebte verklärt sich in seiner Phantasie zu einem Traumwesen, das dann freilich nur in seinem Innern lebt und über die Wirklichkeit weit hinausgeht. Die letztere reichte auch nicht aus, seinen gewaltigen Geist zu befriedigen. Er suchte nach Vertiefung aller Empfindung, nach aufregenden, den ganzen Menschen in Anspruch nehmenden Erlebnissen. Er musste selbst schaffen, was der Wirklichkeit dazu fehlte. Ein Liebesverhältnis musste erst die Gestalt einer poetischen Fiktion annehmen, damit es geeignet war, der ganzen Menschheit Glück und Weh auf seinen Busen zu häufen. Dichtung und Wahrheit verschmilzt ihm in solchen Momenten in Eins, die Liebe übergießt ihm das Tatsächliche mit einem poetischen Zauber, er lebt sich in eine ideale Situation hinein, in einen poetischen Traum und – eine dichterische Schöpfung entsteht naturgemäß in seinem Geiste.

In den angeführten Schriften führt uns Schröer in den Geist einer Reihe Goethescher Dichtungen an der Hand der dargelegten Anschauungen ein. Die Schrift «Goethe und die Liebe» (Seite 1 bis 26) zeigt uns zuerst, wie eines der bedeutsamsten Verhältnisse des Dichters, das zu Uli, ihm Veranlassung zur «Stella» gab. Dieses Verhältnis führte sogar bis zur Verlobung. Aber gerade dieser Ernst der Situation weckte Goethe aus seinen Träumen, er wird die Wirklichkeit gewahr – und erkennt die Notwendigkeit, sich von Lili zu trennen. Bei Betrachtung seines neuen Liebesglückes mochte wohl der Gedanke an sein Losreißen von der als Straßburger Student von ihm geliebten Friederike in Sesenheim besonders lebhaft vor seiner Seele aufgetaucht sein. Damit war das Problem gegeben, das «Stella» lösen sollte: zwei Frauen sind von einem Manne angezogen, jede hat den Anspruch, ganz sein zu sein. Ein Seitenstück zu Werther, wo zwei Männer einer Frau gegenüberstehen.

In dem zweiten Teil der Schrift: «Goethe und Marianne Willemer» (Seite 27 bis 63) sehen wir, wie ein Verhältnis der zartesten Natur noch im Alter den Dichter zu einem der größten und schönsten Werke unserer Literatur, zu seinem «West-östlichen Diwan» begeisterte.

Von «Goethes Dramen» enthält der erste Band die kleinen Jugenddichtungen Goethes, Eine durchgreifend neue Anordnung der Dramen fällt hier in die Augen, bei der alles zusammengestellt erscheint, was aus einem gleichen Bedürfnisse des Dichters hervorgegangen ist, so dass wir ein Gesamtbild Goetheschen Wirkens und Lebens erhalten, in dem jede kleinste Schöpfung an ihrer gehörigen, in Goethes ganzer Natur begründeten Stelle erscheint. Der erste Band umfasst Bekenntnisse, Puppenspiele, Fastnachtspiele und Satiren. Bekenntnisse sind poetische Beichten Goethes, die für ihn die Bestimmung hatten, sein bedrängtes Inneres zu befreien, wenn es aus einem aufregenden, erschütternden Erlebnisse gedrückt und oft wohl auch schuldbewusst hervorging. Die Laune des Verliebten ist ein Bekenntnis, in dem er Buße tut für die Torheit, die er als Leipziger Student gegenüber Käthchen Schönkopf begangen; er hatte sie erst leidenschaftlich geliebt, dann aber ohne Not gequält, ja aus dieser Quälerei der Geliebten sogar eine Unterhaltung gemacht. In welchem Sinne « Stella» ein Bekenntnis ist, haben wir gesehen. Aber auch die «Geschwister» gehören in diese Reihe. Dieses kleine, seelenvolle Stück ist eine Verklärung seines edlen Verhältnisses zu der Besänftigerin seines Herzens, zu Frau v. Stein, an deren ruhigem, resignierendem Wesen sich sein «Sturm und Drang», seine Leidenschaftlichkeit beruhigte, die er nach Weimar mitbrachte.    …..  

 

 


Rudolf Steiner zu Goethe und die Liebe wurde am 14.11.2014 unter Hide veröffentlicht.

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