Aus GA 255b der Rudolf Steiner Gesamtausgabe, S. 299, (Hervorhebungen IH):
Wer nun meine „Philosophie der Freiheit“ durchliest, wird finden, wie diese Wege zur Ergründung der Natur des menschlichen Denkens gesucht worden sind. Und für mich stellte es sich heraus, dass nur derjenige das menschliche Denken richtig verstehen könne, welcher in den höchsten Äußerungen dieses Denkens etwas sieht, das sich unabhängig von unserer Körperlichkeit, von unserer leiblichen Organisation vollzieht. Und ich glaube, es gelang mir nachzuweisen, dass die Vorgänge des reinen Denkens im Menschen sich unabhängig von den leiblichen Vorgängen vollziehen. In den leiblichen Vorgängen walten Naturnotwendigkeiten. Was aus diesen leiblichen Vorgängen hervorgeht an trüben Instinkten, an Willensimpulsen und so weiter, es ist in einer gewissen Beziehung naturnotwendig bestimmt. Was der Mensch in seinem Denken vollzieht, von dem stellt sich zuletzt doch heraus, dass es ein Vorgang ist, der unabhängig von der physischen Organisation des Menschen abläuft. Und ich glaube, dass sich mir durch diese „Philosophie der Freiheit“ nichts Geringeres ergeben hat als die übersinnliche Natur des menschlichen Denkens. Und hatte man diese übersinnliche Natur des menschlichen Denkens erkannt, dann war damit der Beweis geliefert, dass der Mensch im gewöhnlichsten Alltagsleben, wenn er sich nur erhebt zum wirklichen Denken, durch das er durch nichts anderes als durch die Motive des Denkens selbst bestimmt wird, dass er dann ein übersinnliches Element in diesem Denken vor sich hat. Richtet er sich dann im Leben nach diesem Denken, entwickelt er sich so, wird er so erzogen, dass er über die Motive seiner physischen Organisation, über Triebe, Emotionen, Instinkte hinaus Motive des reinen Denkens seinen Handlungen zugrunde legt, dann darf er ein freies Wesen genannt werden. Den Zusammenhang zwischen dem übersinnlich reinen Denken und der Freiheit darzulegen, das machte ich mir dazumal zur Aufgabe.
Man kann nun dabei stehenbleiben, einen solchen Gedankengang bloß theoretisch zu verfolgen. Wenn man aber einen solchen Gedankengang nicht bloß theoretisch verfolgt, sondern wenn er einem Erfüllung des ganzen Lebens wird, wenn man in ihm geradezu eine Offenbarung der menschlichen Natur selber sieht, dann verfolgt man ihn nicht bloß theoretisch weiter, dann verfolgt man ihn praktisch weiter. Was ist dieses praktische Weiterverfolgen? Nun, man lernt erkennen – hat man einmal die übersinnliche Natur des Denkens erfasst -, dass der Mensch imstande ist, sich in einer gewissen Betätigung unabhängig von seiner Leibesorganisation zu machen. Man kann nun den Versuch anstellen, ob der Mensch außer dem reinen Denken noch fähig ist, eine solche Tätigkeit zu entfalten, welche nach dem Muster dieses reinen Denkens ist. Wer dasjenige, was ich als Forschungsmethode meiner anthroposophischen Geisteswissenschaft zugrunde lege, Hellsehen nennt, der muss auch schon das gewöhnliche reine Denken, das durchaus aus dem Alltagsleben heraufströmt in das menschliche Bewusstsein, das hineinströmt in das menschliche Handeln, Hellsehen nennen. Ich selber sehe qualitativ keinen Unterschied zwischen dem reinen Denken und demjenigen, was ich als Hellsehen bezeichne. Ich sehe die Sache so, dass der Mensch sich zuerst an dem Vorgang des reinen Denkens eine Praxis heranbilden kann, wie man in seinen inneren Vorgängen unabhängig wird von seiner Leibesorganisation, wie man in dem reinen Denken etwas vollführt, woran der Leib keinen Anteil hat. Ich habe 1911 auf dem Philosophenkongress in Bologna auf eine ganz philosophische Weise auseinandergesetzt, dass schon das reine Denken etwas ist, was im Menschen vollzogen wird, ohne dass die Leibesorganisation daran Anteil hat. Und ich habe hier in einer großen Anzahl von Vorträgen dieses von den verschiedensten Seiten her bekräftigt.
Dann aber, wenn man den Vorgang kennt, durch den man zu solchem reinen Denken kommt, kann durch das, was wahre tiefergehende Philosophie gibt, etwas ausgebildet werden, was ich dann in der verschiedensten Weise als Erkenntnismethode für die höheren Welten dargestellt habe in meinem Buch «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» und in meiner «Geheimwissenschaft». Geradeso, wie aus den gewöhnlichen Alltagsbetätigungen der menschlichen Seele zuletzt das reine Denken hervorgeht, zu dem man keine besondere Schulung braucht, kann man, wenn man diesen Vorgang weiter ausbildet, zu dem kommen, was ich in dem genannten Buch und im zweiten Teil meiner «Geheimwissenschaft» die Stufen der höheren Erkenntnis – also Imagination, Inspiration, Intuition – genannt habe. Was sich im reinen Denken äußert, das wird uns Menschen einfach eigen dadurch, dass wir geboren sind; es ist uns in unserem jetzigen Stadium der Menschheitsentwicklung vererbt. Dasjenige, was nach dem Muster dieses reinen Denkens auftreten kann als Imagination, Inspiration, Intuition, das muss ebenso heranerzogen werden durch den erwachsenen Menschen, wie gewisse Fähigkeiten naturgemäß heranerzogen werden beim Kind.
Wenn es für manchen erstaunlich, für manchen paradox, für manchen sogar vielleicht kurios ist, was ich als Methoden in meinem Buch «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?» angebe, so muss man sich darüber klar sein, dass, wenn der Mensch versucht, ein inneres Leben in sich selber zu entwickeln, er ja etwas anderes braucht, als was im Alltagsleben da ist. Daher braucht man auch andere Bezeichnungen. Wer in den Sinn dieser Bezeichnungen eindringt, ohne von vornherein hämisch zu werden, der wird sehen, dass nichts anderes beabsichtigt ist durch mein Buch «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten?», als dem Menschen zu zeigen, wie er gewisse, in jeder Seele latente, das heißt schlummernde Fähigkeiten auszubilden hat: die Fähigkeit, gewisse Bilder im Bewusstsein gegenwärtig zu haben. Die Sache ist einfach so, dass durch jene Methoden – die ich heute nicht wieder schildern werde, ich habe sie sehr oft hier geschildert -, dass durch jene Methoden, die ich in den genannten Büchern beschrieben habe, der Mensch sich fähig macht, nicht nur solche abstrakte Begriffe zu erlangen, wie sie im reinen Denken enthalten sind, sondern dass er sich fähig macht, vollinhaltliche, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, gesättigtere Bewusstseinsinhalte vor seine Seele hinzustellen, Bewusstseinsinhalte, die so inhaltsvoll wirken wie sonst nur die sinnlichen Eindrücke. Es ist im wesentlichen eine Verstärkung der gewöhnlichen Denkkraft, an die hier appelliert wird, und wenn man das hellseherisches Vermögen nennen will, so mag man es tun. Gewisse Übungen müssen zur Ausbildung solcher Fähigkeiten vollzogen werden, geradeso wie von dem Kinde zur Ausbildung gewisser Fähigkeiten entsprechende Übungen gemacht werden müssen.
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