Rudolf Steiner: Welche Bedeutung hat das Gehirn für die Erkenntnis? 

(GA 129 S. 140)

Welche Bedeutung hat das Gehirn, hat überhaupt die äußere leibliche Organisation für die Erkenntnis, sagen wir zunächst nur für das Vorstellungsleben? Da ich eben kurz sein muß, so kann ich sie nur durch ein Bild andeuten. Gerade dieselbe Bedeutung hat die Arbeit des Gehirns zu dem, was eigentlich vorgeht in unserer Seele, wenn wir vorstellen, denken, wie der Spiegel für den Menschen, der sich darin sieht. Wenn Sie mit Ihrer Persönlichkeit durch den Raum gehen, da sehen Sie sich nicht zunächst. Wenn Sie einem Spiegel entgegengehen, da sehen Sie das, was Sie sind, wie Sie aussehen. Derjenige, der nun behaupten wollte, das Gehirn denke, es ginge die Vorstellungsarbeit im Gehirn vor sich, der redet gerade so gescheit wie der, der einem Spiegel entgegengeht und sagt: Ich, ich bin nicht da, wo ich gehe; das bin nicht ich; ich muß einmal da hereingreifen — in den Spiegel — da drinnen stecke ich. — Da würde er sich bald davon überzeugen, daß er im Spiegel gar nicht darin steckt, daß der Spiegel allerdings der Veranlasser ist, daß das, was außerhalb des Spiegels ist, sich sieht. Und so ist es überhaupt mit aller physischen Leibesorganisation. Das was da durch die Arbeit des Gehirns erscheint, das ist innere übersinnliche Tätigkeit der drei höheren Glieder der menschlichen Organisation. Daß diese für den Menschen selber erscheinen kann, dazu ist der Spiegel des Gehirns notwendig, so daß wir das, was wir übersinnlich sind, wahrnehmen durch den Spiegel des Gehirns. Und es ist lediglich eine Folge der gegenwärtigen menschlichen Organisation, daß das so sein muß. Der Mensch würde seine Gedanken zwar denken, aber er könnte nichts wissen von ihnen als gegenwärtiger Erdenmensch, wenn er nicht den spiegelnden Leibesorganismus, zunächst das Gehirn hätte. Aber alles das, was die modernen Physiologen und zum Teil die Psychologen tun, um das Denken zu erkennen, ist eben gerade so gescheit, als wenn ein Mensch im Spiegel darin seiner Wirklichkeit nach sich suchen würde. Das alles, was ich Ihnen hier mit ein paar Worten gesagt habe, das kann man heute auch schon vollständig erkenntnistheoretisch begründen, kann es streng wissenschaftlich aufbauen. Eine andere Frage ist diejenige, ob man natürlich mit einer solchen Sache irgendwie verstanden werden kann. Die Erfahrungen sprechen heute noch dagegen. Man kann diese Dinge heute in einer noch so strengen Weise auch Philosophen auseinandersetzen, sie werden kein Sterbenswörtchen davon verstehen, weil sie auf diese Dinge eben nicht eingehen wollen, ich sage ausdrücklich wollen. Denn es ist heute noch in der äußeren exoterischen Welt gar kein Wille vorhanden, auf die ernsthaftesten Fragen des menschlichen Erkenntnisvermögens wirklich einzugehen. 

Wollen wir in einer richtigen Weise uns ein schematisches Bild von dem menschlichen Erkenntnisprozesse machen, so müssen wir sagen — nehmen wir das als das Schema der äußeren physischen menschlichen Leibesorganisation —: In alledem, was äußere physische Leibesorganisation ist, geht gar nichts vor von dem, was Denken, was Erkennen ist, sondern das geht in dem anschließenden Ätherleib, Astralleib und so weiter vor. Da drinnen sitzen die Gedanken, die ich hier schematisch mit diesen Kreisen anzeichne. Und diese Gedanken gehen nicht etwa in das Gehirn hinein — das zu denken wäre ein völliger Unsinn —, sondern sie werden gespiegelt durch die Tätigkeit des Gehirns und wiederum zurückgeworfen in den Ätherleib, Astralleib und das Ich, und die Spiegelbilder, die wir selbst erst erzeugen und die uns sichtbar werden durch das Gehirn, die sehen wir, wenn wir als Erdenmenschen gewahr werden, was wir eigentlich treiben in unserem Seelenleben. Da drinnen im Gehirn ist gar nichts von einem Gedanken. So wenig ist im Gehirn etwas von einem Gedanken, wie hinter dem Spiegel etwas von Ihnen ist, wenn Sie sich darin sehen. Aber das Gehirn ist ein sehr komplizierter Spiegel. Der Spiegel, in dem wir uns da draußen sehen, ist einfach, das Gehirn aber ist ein ungeheuer komplizierter Spiegel, und es muß eine komplizierte Tätigkeit stattfinden, damit das Gehirn das Werkzeug werden kann, um nicht unsere Gedanken zu erzeugen, sondern sie zurückzuspiegeln. Mit anderen Worten, bevor überhaupt von einem Erdenmenschen ein Gedanke zustande kommen konnte, mußte eine Vorbereitung geschehen. Und wir wissen, daß dies geschehen ist durch die alte Saturn-, Sonnen- und Mondenzeit und daß schließlich der heutige physische Leib, also auch das Gehirn, ein Ergebnis der Arbeit vieler geistigen Hierarchien ist. So daß wir sagen können: Mit dem Beginne der Erdenentwickelung war der Mensch auf der Erde so gestaltet, daß er sein physisches Gehirn ausbilden konnte, daß es werden konnte der spiegelnde Apparat für das, was der Mensch eigentlich ist und was erst in der Umgebung dieser physischen Leibesorganisation vorhanden ist. 

So sagen wir heute, und so kann es unter Umständen eine anthroposophische Zuhörerschaft schon verstehen. Im Grunde genommen ist dieser Erkenntnisprozeß sogar recht leicht zu verstehen. Das, was wir heute in dieser Art verstehen können, das empfand der alte Grieche, das fühlte er, und aus dem Grunde sagte er sich: Hier in dieser physischen Leibesorganisation ist, ohne daß der Mensch natürlich ein unmittelbares Bewußtsein davon hat, etwas ungeheuer Bedeutungsvolles verborgen. Diese physische Leibesorganisation ist zwar aus der Erde genommen, da sie aus Stoffen und Kräften der Erde besteht, aber es ist etwas hineingeheimnißt, was zurückspiegeln kann das ganze menschliche Seelenleben. — Das, was da von der Erde heraus, also wiederum makrokosmisch, an dem Aufbau des Gehirnes beteiligt ist, das nannte der alte Grieche, wenn er sein Gefühl auf den Mikrokosmos, auf den Menschen anwendete, das dionysische Prinzip, so daß in uns der Dionysos wirkt, unsere Leibesorganisation zum Spiegel unseres Geisteslebens zu machen. 

Nun können wir, wenn wir anknüpfen an diese, ich möchte sagen, rein theoretische Auseinandersetzung, die leiseste erste Seelenprüfung daran erfahren; sie ist die leiseste Seelenprüfung, und da der heutige Mensch nicht gerade in der allerfeinsten Weise organisiert ist, so geht er an ihr zumeist vorbei. Es muß schon gröber kommen mit diesen Prüfungen, wenn der heutige Mensch sie empfinden soll. Erst dann, wenn man in gewisser Weise enthusiasmiert ist für die Erkenntnis, wenn man Erkenntnis als Lebensfrage betrachtet, dann fühlt man das, was gesagt werden soll, eben doch als erste große Seelenprüfung. Sie tritt dann ein, wenn man sich aus einer solchen Erkenntnis heraus etwa das Folgende sagen muß: Da tönt uns herüber aus uralten Zeiten das große Weisheitswort: «Erkenne dich selbst!» Selbsterkenntnis als Angelpunkt aller anderen wahren Erkenntnis leuchtet uns als ein hohes Ideal vor, das heißt, wir versuchen anzustreben, indem wir überhaupt zu einer Erkenntnis kommen wollen, zuerst uns selbst zu erkennen, das zu erkennen, was wir sind. Nun verläuft aber alles unser Erkennen im Vorstellungsleben. Das Vorstellungsleben, das wir vor uns haben, das uns auch alle äußeren Dinge wiedergibt, dieses Vorstellungsleben erfahren wir als Spiegelbild. Es dringt überhaupt gar nicht ein in das, was wir zunächst als physische Leibesorganisation sind, es wird uns zurückgeworfen, und ebensowenig wie der Mensch sehen kann, was hinter dem Spiegel ist, ebensowenig kann der Mensch in seine physische Wesenheit hineinschauen. Er dringt auch nicht ein, weil sein Seelenleben ganz ausgefüllt ist vom Vorstellungsleben. Man muß sich sagen: Es ist also dann überhaupt unmöglich, sich selbst kennenzulernen, man kann gar nichts anderes kennenlernen als sein Vorstellungsleben, was uns erst zum spiegelnden Apparat gemacht hat. Unmöglich können wir da eindringen, denn wir können nur bis an die Grenze kommen; da wird das ganze Seelenleben zurückgeworfen, so wie im Spiegel das Bild des Menschen zurückgeworfen wird. — Werden wir so aufgefordert durch ein unbestimmtes Gefühl, uns selbst zu erkennen, so müssen wir uns gestehen: Wir können uns gar nicht selbst erkennen, es ist uns unmöglich, uns selbst zu erkennen. Das, was ich jetzt gesagt habe, ist für die meisten Menschen der Gegenwart eine Abstraktion, weil sie eben nicht einen Enthusiasmus der Erkenntnis haben, weil sie nicht die Leidenschaft entwickeln können, die sich abspielen muß, wenn wir die Seele hingestellt sehen vor die Notwendigkeit dessen, was sie eigentlich haben muß. Aber denken Sie sich das als Gefühl ausgebildet, dann haben Sie die Seele vor eine harte Prüfung gestellt, vor die Prüfung: Du mußt etwas erreichen, was du gar nicht erreichen kannst! Geisteswissenschaftlich ausgedrückt, würde das heißen: Alle äußere Erkenntnis, alles das, was der Mensch exoterisch erreichen kann, führt überhaupt zu keiner Selbsterkenntnis. 

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