Denken Sie sich einmal, Sie lebten im Sinne der gewöhnlichen Wissenschaften für eine Weile rein nachdenklich, Sie regten sich gar nicht, Sie sähen ganz ab von allem Handeln, Sie lebten eben ein Vorstellungsleben. Sie müssen sich aber klar sein, daß dann in diesem Vorstellungsleben Wille tätig ist, Wille, der allerdings dann in Ihrem Inneren sich betätigt, der im Bereiche des Vorstellens seine Kräfte ausbreitet. Gerade wenn wir so den denkenden Menschen betrachten, wie er fortwährend den Willen hineinstrahlt in seine Gedanken, dann muß uns eigentlich eines gegenüber dem wirklichen Leben auffallen. Die Gedanken, die wir also fassen, wenn wir sie alle durchgehen – wir werden immer finden, daß sie an irgend etwas anknüpfen, was in unserer Umgebung, was unter unseren Erlebnissen ist. Wir haben zwischen Geburt und Tod gewissermaßen keine anderen Gedanken als diejenigen, die uns das Leben bringt. Ist unsere Erfahrung reich, so haben wir auch einen reichen Gedankeninhalt; ist unsere Erfahrung arm, so haben wir einen armen Gedankeninhalt. Der Gedankeninhalt ist gewissermaßen unser innerliches Schicksal. Aber innerhalb dieses Denk-Erlebens ist eines ganz uns eigen: Die Art und Weise, wie wir die Gedanken verknüpfen und voneinander lösen, die Art und Weise, wie wir innerlich die Gedanken verarbeiten, wie wir urteilen, wie wir Schlüsse ziehen, wie wir uns überhaupt im Gedankenleben orientieren, das ist unser, ist uns eigen. Der Wille in unserem Gedankenleben ist unser eigener.
Wenn wir auf dieses Gedankenleben hinblicken, so müssen wir uns gerade bei einer sorgfältigen Selbstprüfung sagen, und Sie werden schon sehen, daß das so bei einer sorgfältigen Selbstprüfung ist: Die Gedanken kommen uns von außen ihrem Inhalte nach, die Bearbeitung der Gedanken, die geht von uns aus. – Wir sind daher im Grunde genommen in Bezug auf unsere Gedankenwelt ganz abhängig von dem, was wir erleben können durch die Geburt, in die wir schicksalsmäßig versetzt sind, durch die Erlebnisse, die uns werden können. Aber in dasjenige, was uns da von der Außenwelt kommt, tragen wir hinein gerade durch den Willen, der aus der Seelentiefe ausstrahlt, unser Eigenes. Es ist für die Erfüllung dessen, was Selbsterkenntnis von uns Menschen will, im hohen Grade bedeutsam, wenn wir auseinanderhalten, wie auf der einen Seite uns von der Umwelt der Gedankeninhalt kommt, wie auf der anderen Seite aus unserem Inneren in die Gedankenwelt einstrahlt die Kraft des Willens, die von innen kommt.
Wie wird man eigentlich innerlich immer geistiger und geistiger? Man wird nicht dadurch geistiger, daß man möglichst viele Gedanken aus der Umwelt aufnimmt, denn diese Gedanken geben ja doch nur, ich möchte sagen, die Außenwelt, die eine sinnlich-physische ist, in Bildern wieder. Dadurch, daß man möglichst den Sensationen des Lebens nachläuft, dadurch wird man nicht geistiger. Geistiger wird man durch die innere willensgemäße Arbeit innerhalb der Gedanken. Daher besteht auch Meditieren darinnen, daß man sich nicht einem beliebigen Gedankenspiel hingibt, sondern daß man wenige, leicht überschaubare, leicht prüfbare Gedanken in den Mittelpunkt seines Bewußtseins rückt, aber mit einem starken Willen diese Gedanken in den Mittelpunkt seines Bewußtseins rückt. Und je stärker, je intensiver dieses innere Willensstrahlen wird in dem Elemente, wo eben die Gedanken sind, desto geistiger werden wir. Wenn wir Gedanken von der äußeren physisch-sinnlichen Welt aufnehmen – und wir können ja nur solche aufnehmen zwischen Geburt und Tod – dann werden wir dadurch, wie Sie leicht einsehen können, unfrei, denn wir werden hingegeben an die Zusammenhänge der äußeren Welt; wir müssen dann so denken, wie es uns die äußere Welt vorschreibt, insofern wir nur den Gedankeninhalt ins Auge fassen; erst in der inneren Verarbeitung werden wir frei.
Nun gibt es eine Möglichkeit, ganz frei zu werden, frei zu werden in seinem inneren Leben, wenn man den Gedankeninhalt, insofern er von außen kommt, möglichst ausschließt, immer mehr und mehr ausschließt, und das Willenselement, das im Urteilen, im Schlüsseziehen unsere Gedanken durchstrahlt, in besondere Regsamkeit versetzt. Dadurch aber wird unser Denken in denjenigen Zustand versetzt, den ich in meiner «Philosophie der Freiheit» genannt habe das reine Denken. Wir denken, aber im Denken lebt nur Wille. Ich habe das besonders scharf betont in der Neuauflage der «Philosophie der Freiheit» 1918. Dasjenige, was da in uns lebt, lebt in der Sphäre des Denkens. Aber wenn es reines Denken geworden ist, ist es eigentlich ebensogut als reiner Wille anzusprechen. So daß wir aufsteigen dazu, uns vom Denken zum Willen zu erheben, wenn wir innerlich frei werden, daß wir gewissermaßen unser Denken so reif machen, daß es ganz und gar durchstrahlt wird vom Willen, nicht mehr von außen aufnimmt, sondern eben im Willen lebt. Gerade dadurch aber, daß wir immer mehr und mehr den Willen im Denken stärken, bereiten wir uns vor für das, was ich in der «Philosophie der Freiheit» die moralische Phantasie genannt habe, was aber aufsteigt zu den moralischen Intuitionen, die dann unseren gedankegewordenen Willen oder willegewordenen Gedanken durchstrahlen, durchsetzen. Auf diese Weise heben wir uns heraus aus der physisch-sinnlichen Notwendigkeit, durchstrahlen uns mit dem, was uns eigen ist und bereiten uns vor für die moralische Intuition. Und auf solchen moralischen Intuitionen beruht doch alles das, was den Menschen von der geistigen Welt aus zunächst erfüllen kann. Es lebt also auf dasjenige, was Freiheit ist, dann, wenn wir gerade in unserem Denken immer mächtiger und mächtiger werden lassen den Willen.
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