aus GA 99 S. 157
Das Durchgehen durch demütig hingebungsvolle Zustände stellt das Wesen der christlichen Einweihung dar. Wer sie so ernsthaftig durchgeht, der erlebt seine Auferstehung in den geistigen Welten. Nicht jeder kann das heute durchführen. Daher ist es notwendig, daß eine andere Methode besteht, die zu den höheren Welten hinaufführt. Das ist die rosenkreuzerische Methode.
Davon mochte ich auch wiederum sieben Glieder anführen, die ein Bild davon geben sollen, was es innerhalb dieser Schulung gibt. Manches ist davon bereits beschrieben in «Luzifer-Gnosis», manches kann nur innerhalb der Schulung selbst von Mensch zu Mensch gegeben werden, doch muß man sich einen Begriff davon machen, was die Schulung dem Menschen gibt. Sie hat wiederum sieben Stufen, doch nicht nacheinander; es kommt dabei auf die Individualität des Schülers an. Der Lehrer gibt das an, was ihm geeignet erscheint für seinen Schüler, und vieles andere tritt noch dazu, das sich der äußeren Erörterung entzieht. Die sieben Stufen sind folgende:
1. Studium
2. Imaginative Erkenntnis
3. Inspirierte Erkenntnis oder Lesen der okkulten Schrift
4. Bereitung des Steins der Weisen
5. Entsprechung zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos
6. Hineinleben in den Makrokosmos
7. Gottseligkeit
Das Studium im Rosenkreuzer-Sinne ist das Sich-vertiefen-Können in einen solchen Gedankeninhalt, der nicht der physischen Wirklichkeit, sondern der den höheren Welten entnommen ist; das, was man das Leben im reinen Gedanken nennt. Das wird sogar von den heutigen Philosophen meistenteils geleugnet; sie sagen, ein jedes Denken müsse einen gewissen Rest von sinnlicher Anschauung haben. Das ist aber nicht der Fall, denn kein Mensch kann zum Beispiel einen wirklichen Kreis sehen. Einen Kreis muß man im Geiste sehen; auf der Tafel ist er nur eine Anhäufung kleiner Kreideteilchen. Einen wirklichen Kreis kann man nur erlangen, wenn man absieht von allen Beispielen, von der äußeren Wirklichkeit. So ist in der Mathematik das Denken ein übersinnliches. Aber auch in den anderen Dingen der Welt muß man übersinnlich denken lernen, und eine solche Denkweise haben die Eingeweihten immer über das Wesen des Menschen gehabt. Die Rosenkreuzer-Theosophie ist eine solche übersinnliche Erkenntnis, und ihr Studium, wie wir es jetzt getrieben haben, ist die erste Stufe für die Rosenkreuzer-Schulung selbst. Nicht aus einem äußeren Grunde trage ich die rosenkreuzerische Theosophie vor, sondern weil dies die erste Stufe der rosenkreuzerischen Einweihung ist. Die Menschen denken wohl oft, es sei unnötig, über die Glieder der Menschennatur oder die Evolution der Menschheit oder die verschiedenen planetarischen Entwickelungen zu reden. Sie möchten sich lieber schöne Gefühle aneignen, ernsthaft studieren wollen sie nicht. Doch wenn man sich auch noch so viele schöne Gefühle aneignet in der Seele, es ist unmöglich, dadurch allein in die höheren Welten hinaufzukommen. Nicht Gefühle will die Rosenkreuzer-Theosophie erregen, sondern durch die gewaltigen Tatsachen der geistigen Welten die Gefühle selbst antönen lassen. Als eine Art von Schamlosigkeit empfindet es der Rosenkreuzer, wenn er auf die Menschen losstürmt mit Gefühlen. Er führt sie hinein in den Werdegang der Menschheit in der Voraussetzung, daß die Gefühle dann von selbst entstehen. Er läßt vor ihnen erstehen den wandelnden Planeten im Weltenraume, und wenn die Seele diese Tatsachen erlebt, dann soll sie mächtig ergriffen werden in ihren Gefühlen. Es ist nur eine Herumrederei, wenn man sagt, man solle sich direkt an das Gefühl wenden. Das ist nur eine Bequemlichkeit. Die Rosenkreuzer-Theosophie läßt die Tatsachen sprechen, und wenn diese Gedanken dann in das Gefühl einfließen, es überwältigen, dann ist das der rechte Weg. Nur was der Mensch aus sich selbst empfindet, kann ihn beseligen. Der Rosenkreuzer läßt die Tatsachen im Kosmos sprechen, denn das ist die unpersönlichste Art zu lehren. Es ist ganz gleichgültig, wer vor Ihnen steht, denn nicht durch eine Persönlichkeit sollen Sie ergriffen werden, sondern durch das, was diese Persönlichkeit von den Tatsachen des Weltenwerdens zu Ihnen spricht. Daher ist in der Rosenkreuzer-Schulung jede unmittelbare Verehrung für den Lehrer gestrichen. Er beansprucht sie nicht, er braucht sie nicht. Er will sprechen zum Schüler von dem, was ohne ihn da ist.
Derjenige, der dann hinauf dringen will in die höheren Welten, muß sich an jenes Denken gewöhnen, das einen Gedanken aus dem andern hervorgehen läßt. Ein solches Denken ist entwickelt in meiner «Philosophie der Freiheit» und «Wahrheit und Wissenschaft». Diese Bücher sind nicht so geschrieben, daß man einen Gedanken nehmen und an eine andere Stelle hinsetzen könnte; sie sind vielmehr so geschrieben, wie ein Organismus entsteht; ebenso wächst ein Gedanke aus dem andern hervor. Diese Bücher haben gar nichts zu tun mit dem, der sie geschrieben hat. Er überließ sich dem, was die Gedanken selbst in ihm erarbeiteten, wie sie sich selbst gliederten. So ist das Studium für den, der es in einer gewissen elementaren Weise absolvieren will, ein Sich-bekannt-Machen mit den elementaren Tatsachen der Geisteswissenschaft selber, während für den, der höher hinauf will, es ein Vertiefen in ein Gedankengebäude ist, das einen Gedanken aus dem andern, aus sich selbst herauswachsen läßt.
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