GA 28 S. 78
Recht innige Freundschaft schloß ich damals mit einem jungen Manne, der aus dem deutschen Siebenbürgen nach der Wiener technischen Hochschule gekommen war. Auch ihn hatte ich in Schröers Übungsstunden zuerst getroffen. Da hat er einen Vortrag über den Pessimismus gehalten. Alles, was Schopenhauer für diese Lebensauffassung vorgebracht hat, lebte in diesem Vortrage auf. Dazu kam die eigene pessimistische Lebensstimmung des jungen Mannes. Ich erbot mich, einen Gegenvortrag zu halten. Ich «widerlegte» den Pessimismus mit wahren Donnerworten, nannte schon damals Schopenhauer ein «borniertes Genie» und ließ meine Ausführungen in dem Satze gipfeln, «wenn der Herr Vortragende mit seiner Darstellung über den Pessimismus recht hätte, dann wäre ich lieber der Holzpfosten, auf dem meine Füße stehen, als ein Mensch». Dieses Wort wurde lange spottend in meinem Bekanntenkreise über mich wiederholt. Aber es machte den jungen Pessimisten und mich zu innig verbundenen Freunden. Wir verlebten nun viele Zeit miteinander. Auch er fühlte sich als Dichter. Und ich saß oft viele Stunden lang bei ihm auf seinem Zimmer und hörte gerne dem Vorlesen seiner Gedichte zu. Er brachte auch meinen damaligen geistigen Bestrebungen ein warmes Interesse entgegen, obwohl er dazu weniger durch die Dinge, mit denen ich mich befaßte, als durch seine persönliche Liebe zu mir angeregt wurde. Er knüpfte so manche schöne Jugendbekanntschaft und auch Jugendliebe an. Er brauchte das zu seinem Leben, das ein recht schweres war. Er hatte in Hermannstadt die Schule als armer Junge durchgemacht, und mußte da schon sein Leben von Privatstunden unterhalten. Er kam dann auf die geniale Idee, von Wien aus durch Korrespondenz die in Hermannstadt gewonnenen Privatschüler weiter zu unterrichten. Die. Hochschul-Wissenschaften interessierten ihn wenig. Einmal wollte er doch ein Examen aus der Chemie ablegen. Er war in keiner Vorlesung und hatte auch kein einschlägiges Buch berührt. In der letzten Nacht vor der Prüfung ließ er sich von einem Freunde einen Auszug aus dem ganzen Stoff vorlesen. Er schlief zuletzt dabei ein. Dennoch ging er mit diesem Freunde zugleich zum Examen. Beide fielen wirklich «glänzend» durch.
GA 28 S. 232
Nahe trat ich Otto Erich Hartleben auf eine besondere Art. An einem der angedeuteten Abendtische entspann sich einmal ein Gespräch über Schopenhauer. Es waren schon viele bewundernde und ablehnende Worte über den Philosophen gefallen. Hartleben hatte lange geschwiegen. Dann sagte er in wildwogende Gesprächsoffenbarungen hinein: «Man wird bei ihm aufgeregt; aber er ist doch nichts für das Leben.» Mich schaute er dabei fragend an, mit kindlich-hilflosem Blicke; er wollte, daß ich etwas sagen sollte, weil er gehört hatte, daß ich mich doch mit Schopenhauer beschäftige. Und ich sagte: «Schopenhauer muß ich für ein borniertes Genie halten.» Hartlebens Augen funkelten, er wurde unruhig, er trank aus und bestellte sich ein frisches Glas, er hatte mich in diesem Augenblicke in sein Herz geschlossen; seine Freundschaft zu mir war begründet. «BorniertesGenie!» Das gefiel ihm. Ich hätte es ebenso gut von einer ganz anderen Persönlichkeit gebrauchen können, es wäre ihm gleichgültig gewesen. Ihn interessierte tief, daß man die Ansicht haben könne, auch ein Genie könne borniert sein.
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