Wie wird man eigentlich innerlich immer geistiger und geistiger?

von Ingo Hagel

Hier in diesem Vortrag geht Rudolf Steiner auf die Frage ein, wie man richtig meditiert – beziehungsweise auf die Frage, wie man wirklich frei wird im Sinne seiner „Philosophie der Freiheit“:

Denken Sie sich einmal, Sie lebten im Sinne der gewöhnlichen Wissenschaften für eine Weile rein nachdenklich, Sie regten sich gar nicht, Sie sähen ganz ab von allem Handeln, Sie lebten eben ein Vorstellungsleben.

Nun, das ist eben das Vorstellungsleben 

im Sinne der gewöhnlichen Wissenschaften.

Und das gilt es zu überwinden, wenn man richtig meditieren lernen will – oder wenn man im Sinne der „Philosophie der Freiheit“ frei werden will. Diese passive, sich nicht regende, willenlose, nicht aktive Art des Denkens und Vorstellens muss überwunden werden. Der Gedankeninhalt, der von außen kommt, entweder indem man Dinge durch das Leben erfährt, oder indem man sich durch das Lesen von Büchern ein reiches Wissen aneignet, ist für die Meditation zu überwinden. Der äußere Gedankeninhalt muss ersetzt werden durch die willenshafte Art des eigenen Inneren, Gedanken, die sich auf nichts Äußeres mehr beziehen –

nur zum Beispiel, denn zu diesem Thema gibt es selbstverständlich auch noch ganz andere Charakterisierungen –

willentlich im Urteilen und Schließen zu verbinden: 

Der Gedankeninhalt ist gewissermaßen unser innerliches Schicksal. Aber innerhalb dieses Denk-Erlebens ist eines ganz uns eigen: Die Art und Weise, wie wir die Gedanken verknüpfen und voneinander lösen, die Art und Weise, wie wir innerlich die Gedanken verarbeiten, wie wir urteilen, wie wir Schlüsse ziehen, wie wir uns überhaupt im Gedankenleben orientieren, das ist unser, ist uns eigen. Der Wille in unserem Gedankenleben ist unser eigener.

Die Gedanken kommen uns von außen ihrem Inhalte nach, die Bearbeitung der Gedanken, die geht von uns aus.

Eine wirkliche Geistigkeit des Menschen wird nämlich nicht durch das vermittelt, 

was von außen in ihn hineinkommt – 

seien es Erlebnisse oder Gedanken – beziehungsweise durch Alles das, was er mit dem Kopf in seinem intellektuellen Leben aus diesen Dingen macht – 

sondern durch das, was er willentlich innerlich mit diesen Gedanken – 

die sich allerdings auf nichts Äußeres mehr beziehen dürfen, also reine Gedanken darstellen müssen – 

macht. 

Die Gedanken, die wir also fassen, wenn wir sie alle durchgehen – wir werden immer finden, daß sie an irgend etwas anknüpfen, was in unserer Umgebung, was unter unseren Erlebnissen ist. Wir haben zwischen Geburt und Tod gewissermaßen keine anderen Gedanken als diejenigen, die uns das Leben bringt. Ist unsere Erfahrung reich, so haben wir auch einen reichen Gedankeninhalt; ist unsere Erfahrung arm, so haben wir einen armen Gedankeninhalt. Der Gedankeninhalt ist gewissermaßen unser innerliches Schicksal. Aber innerhalb dieses Denk-Erlebens ist eines ganz uns eigen: Die Art und Weise, wie wir die Gedanken verknüpfen und voneinander lösen, die Art und Weise, wie wir innerlich die Gedanken verarbeiten, wie wir urteilen, wie wir Schlüsse ziehen, wie wir uns überhaupt im Gedankenleben orientieren, das ist unser, ist uns eigen. Der Wille in unserem Gedankenleben ist unser eigener.

Zu unterscheiden ist also immer der eigentliche Gedankeninhalt von dem Willen, der diese Gedanken innerlich löst und verbindet und verarbeitet.

Es ist für die Erfüllung dessen, was Selbsterkenntnis von uns Menschen will, im hohen Grade bedeutsam, wenn wir auseinanderhalten, wie auf der einen Seite uns von der Umwelt der Gedankeninhalt kommt, wie auf der anderen Seite aus unserem Inneren in die Gedankenwelt einstrahlt die Kraft des Willens, die von innen kommt.

 

Nachdem Rudolf Steiner diese Dinge auseinandergesetzt hatte, kommt er darauf zu sprechen, 

wie denn der Mensch „innerlich immer geistiger und geistiger wird“ – beziehungsweise er kommt auf die Meditation zu sprechen:

Wie wird man eigentlich innerlich immer geistiger und geistiger? Man wird nicht dadurch geistiger, daß man möglichst viele Gedanken aus der Umwelt aufnimmt, denn diese Gedanken geben ja doch nur, ich möchte sagen, die Außenwelt, die eine sinnlich-physische ist, in Bildern wieder. Dadurch, daß man möglichst den Sensationen des Lebens nachläuft, dadurch wird man nicht geistiger. Geistiger wird man durch die innere willensgemäße Arbeit innerhalb der Gedanken. Daher besteht auch Meditieren darinnen, daß man sich nicht einem beliebigen Gedankenspiel hingibt, sondern daß man wenige, leicht überschaubare, leicht prüfbare Gedanken in den Mittelpunkt seines Bewußtseins rückt, aber mit einem starken Willen diese Gedanken in den Mittelpunkt seines Bewußtseins rückt.

 

Über dieses Rücken von Gedanken in den Mittelpunkt seines Bewusstseins liest es sich viel einfacher, 

als es sich im eigenen Inneren realisieren lässt. Man kann daran aber sehr schön bemerken, wie stark man nur passiv

im Sinne der gewöhnlichen Wissenschaften

denkt. Willenshaft zu denken, muss eben gelernt werden, das muss praktisch über Jahre und Jahrzehnte geübt werden – das sagt Rudolf Steiner ja immer wieder. Aber dazu muss man durch ein ordentliches Studium der Anthroposophie wissen, wohin diese geistige Reise zu gehen hat. Man muss sich also die entsprechenden Begriffe durch ein Studium der Anthroposophie dazu erwerben. Aber damit, dass man sich diese Begriffe erworben hat, dass man sie gelesen und in seinem intellektuellen Kopf verfrühstückt hat, damit ist es nicht getan. Diese gelesenen Begriffe müssen umgesetzt werden im eigenen Inneren. Da liegt das große Problem. Das kann niemals durch äußeres Vermitteln von Gedanken bewirkt werden. Diese können nur die Richtung weisen. 

 

Nun könnte man sich ob dieser Anweisung zur Meditation beruhigen, 

indem man sich sagt, dass man mit solchem „unnützen und unwissenschaftlichen Meditations-Zeugs“, für das man sich nichts kaufen kann, und das einem auch keine Weiterbildungspluspunkte in seiner „Bio“ sichert, nichts zu tun haben will. Aber viel eher möchte man doch frei werden – 

wahrscheinlich frei von allen möglichen äußeren Übeln, dagegen gar nicht so sehr frei von den Ketten, die das gewöhnliche Bewusstsein an die Funktionen des physischen Leibes (Gehirn) binden. –

Gar nicht beruhigend, sondern beunruhigend und verstörend kann es daher auf den Leser wirken, wenn Rudolf Steiner dann gleich anschließend, nachdem er die Meditation besprochen hat, auf seine „Philosophie der Freiheit“ zu sprechen kommt – und wie man wirklich frei werden kann: 

Nun gibt es eine Möglichkeit, ganz frei zu werden, frei zu werden in seinem inneren Leben, wenn man den Gedankeninhalt, insofern er von außen kommt, möglichst ausschließt, immer mehr und mehr ausschließt, und das Willenselement, das im Urteilen, im Schlüsseziehen unsere Gedanken durchstrahlt, in besondere Regsamkeit versetzt. Dadurch aber wird unser Denken in denjenigen Zustand versetzt, den ich in meiner «Philosophie der Freiheit» genannt habe das reine Denken. Wir denken, aber im Denken lebt nur Wille. Ich habe das besonders scharf betont in der Neuauflage der «Philosophie der Freiheit» 1918. Dasjenige, was da in uns lebt, lebt in der Sphäre des Denkens. Aber wenn es reines Denken geworden ist, ist es eigentlich ebensogut als reiner Wille anzusprechen. So daß wir aufsteigen dazu, uns vom Denken zum Willen zu erheben, wenn wir innerlich frei werden, daß wir gewissermaßen unser Denken so reif machen, daß es ganz und gar durchstrahlt wird vom Willen, nicht mehr von außen aufnimmt, sondern eben im Willen lebt. Gerade dadurch aber, daß wir immer mehr und mehr den Willen im Denken stärken, bereiten wir uns vor für das, was ich in der «Philosophie der Freiheit» die moralische Phantasie genannt habe, was aber aufsteigt zu den moralischen Intuitionen, die dann unseren gedankegewordenen Willen oder willegewordenen Gedanken durchstrahlen, durchsetzen. Auf diese Weise heben wir uns heraus aus der physisch-sinnlichen Notwendigkeit, durchstrahlen uns mit dem, was uns eigen ist und bereiten uns vor für die moralische Intuition. Und auf solchen moralischen Intuitionen beruht doch alles das, was den Menschen von der geistigen Welt aus zunächst erfüllen kann. Es lebt also auf dasjenige, was Freiheit ist, dann, wenn wir gerade in unserem Denken immer mächtiger und mächtiger werden lassen den Willen. 

Wo hat Rudolf Steiner das in der Neuauflage seiner „Philosophie der Freiheit“ „besonders scharf betont“, dass im reinen Denken nur der Wille lebt? Zum Beispiel im Zusatz zum dritten Kapitel (GA 4 S. 55): 

… es kommt darauf an, daß nichts gewollt wird, was, indem es sich vollzieht, vor dem «Ich» nicht restlos als seine eigene, von ihm überschaubare Tätigkeit erscheint. 

Und: 

… es kommt darauf an, daß nichts gewollt wird, was, indem es sich vollzieht, vor dem «Ich» nicht restlos als seine eigene, von ihm überschaubare Tätigkeit erscheint. 

  

Ein richtiges Verstehen dieses Buches beruht also auf derselben Denktechnik wie die Meditation – 

beziehungsweise die Meditation beruht auf derselben Denktechnik wie ein richtiges Lesen und Verstehen der „Philosophie der Freiheit“. Auf diese Angelegenheit habe ich hier auf dieser Seite immer mal wieder hingewiesen. Sie zieht sich über viele Stellen durch das Werk Rudolf Steiners hindurch, ohne dass er darauf jemals näher eingegangen ist. Er stellt diese beiden Angelegenheiten – 

also indem er erst die Meditation und dann seine „Philosophie der Freiheit“ bespricht – oder indem erst seine „Philosophie der Freiheit“ und dann die Meditation bespricht –

einfach so nebeneinander, dass man den Eindruck gewinnen könnte, Rudolf Steiner wartete, ob irgendjemand dieses Unangenehme und Peinliche vielleicht bemerken würde. Seine „Philosophie der Freiheit“ war ja damals wie heute weder beliebt noch verstanden, siehe dazu hier und hier. 

 

Ein Missverständnis wäre es allerdings, diesen Willen im Denken 

auf der Grundlage des gewöhnlichen Bewusstseins realisieren zu wollen. Natürlich hat man erst einmal nichts anderes als dieses gewöhnliche Bewusstsein

im Sinne der gewöhnlichen Wissenschaften.

Man weiß daher zu Beginn überhaupt nicht, dass man, wenn man auf dieser Schiene des intellektuellen Kopfes bleibt, etwas falsch macht. Dass man etwas falsch macht, wird man also nur dadurch feststellen, dass man entweder fleißig, verständnis- und hingebungsvoll die Anthroposophie studiert. Oder, was nicht so gut ist, dadurch, dass man alles mögliche körperliche und seelische Unwohlsein verspüren wird, weil eben dieser angestrengte Wille nicht den physischen Leib ergreifen darf, weil er ihn sonst ruiniert. Was dieser von Steiner angesprochene Wille also wirklich ist, wird man mühevoll und auf langen Wegen versuchen müssen, in den Blick und in den geistigen Griff zu bekommen. –

Man kann natürlich auch so „Anthroposoph“ sein, indem man beinhart auf dieser Stufe des gewöhnlichen Bewusstseins verharrt, auf diese Weise die Anthroposophie 

im Sinne der gewöhnlichen Wissenschaften

verhackstückt und seine Mitmenschen als Moderator oder Teilnehmer in irgendwelchen „anthroposophischen“ Talkrunden, als Redakteur, Autor und so weiter beglückt, indem man den Leuten aus seinem gewöhnlichen Bewusstsein heraus alles mögliche Nicht-Anthroposophische erzählt, was die Zuhörer oder Leser aber nicht weiterführt. – 

   

Es dauert also lange, diese Dinge mit Blick auf das Denken, die Beobachtung des Denkens, die Meditation und so weiter 

überhaupt erst einmal theoretisch zu verstehen, um sie dann in einem zweiten Schritt in eine gedankliche Praxis umschmelzen zu können. Daher sagte Rudolf Steiner mit Blick auf diese Praxis der Meditation (GA 65 S. 59): 

Es ist eine scheinbar anspruchslose Betätigung des inneren Seelenlebens, aber man könnte mit Bezug auf das, was hier gemeint ist, wie es im Goetheschen «Faust» heißt, sagen: «Zwar ist es leicht, doch ist das Leichte schwer!» Es ist leicht im allgemeinen, dem Denken eine solche Richtung zu geben, wie sie hier angedeutet ist. Aber um wirklich die innere Kraft aufzubringen, die notwendig ist, um das Denken in seinem Tun zu betrachten, muss der Vorgang immer und immer wiederholt werden. Je nach der Anlage des Menschen dauert es wochen-, monate-, jahrelang, bis irgendein Ergebnis erreicht wird. So dass allerdings die meisten Menschen, wenn sie einen solchen inneren Weg nehmen, längst die Geduld verloren haben, wenn es zu irgendeinem Ergebnis kommen könnte.

 

Und da es bei der „Philosophie der Freiheit“, die auch 

eine scheinbar anspruchslose Betätigung des inneren Seelenlebens

darstellt, ebenfalls darum geht, 

das Denken in seinem Tun zu betrachten,

kann man getrost annehmen, dass auch diesbezüglich die meisten Menschen, die ja gewohnt sind, Wissen und Fähigkeiten durch bloßes Lesen – 

das heißt durch Beanspruchung der Sinne und des gewöhnlichen Bewusstseins – 

ganz schnell vermittelt zu bekommen,

längst die Geduld verloren haben, wenn es zu irgendeinem Ergebnis kommen könnte.

Man muss also Geduld mit sich haben. Und diese kann man nur haben, wenn man durch ein angemessenes Studium der Anthroposophie ein Gefühl dafür entwickelt, dass man mit Blick auf die Meditation oder die „Philosophie der Freiheit“ mit seinen Bemühungen nicht blind im Heuhaufen herumgestochert, sondern dass man weiß, auf was es in den eigenen Denkbemühungen ankommt.   

  

 

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