Zweifel darüber, „dass durch das Denken über die Welt etwas ausgemacht werden kann“

 

von Ingo Hagel

 

Da formuliert Rudolf Steiner in seiner „Philosophie der Freiheit“ ganz am regulären Ende des dritten Kapitels –

also noch vor dem Zusatz zur Neuauflage (1918) –

das den Titel trägt: 

Das Denken im Dienste der Weltauffassung

indem er auf Einwände eingeht, die gegenüber dem in diesem Kapitel Gesagten gemacht wurden (GA 4 S. 54):     

Ich kann es verstehen, wenn jemand Zweifel hegt, daß durch das Denken über die Welt etwas ausgemacht werden kann; das aber ist mir unbegreiflich, wie jemand die Richtigkeit des Denkens an sich anzweifeln kann.

 

Aber was soll das denn heißen:

… wenn jemand Zweifel hegt, daß durch das Denken über die Welt etwas ausgemacht werden kann …

Handelt denn nicht die gesamte „Philosophie der Freiheit“ davon, 

dass durch das Denken über die Welt etwas ausgemacht werden kann?

Sagte Rudolf Steiner doch auf Seite 53 seiner „Philosophie der Freiheit“:

Ehe anderes begriffen werden kann, muß es das Denken werden. 

Also soll doch durchaus „anderes begriffen werden“. Aber was? 

  

Und lautet der Untertitel dieser „Philosophie der Freiheit“ nicht:

Grundzüge einer modernen Weltanschauung 

Was doch heißt, dass durchaus die Welt angeschaut werden soll. Allerdings hat die Welt verschiedene Schichten.

Und wenn nicht von Naturwissenschaft, dann ist doch in diesem Untertitel wenigstens noch von „naturwissenschaftlicher Methode“ die Rede: 

Seelische Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode 

Und auch der Titel dieses dritten Kapitels selbst: 

Das Denken im Dienste der Weltauffassung 

in dem diese obigen Sätze stehen: 

… wenn jemand Zweifel hegt, daß durch das Denken über die Welt etwas ausgemacht werden kann …

deutet ja auch darauf hin, dass die Welt aufgefasst werden soll. Aber da sind – wie gesagt – die Schichten der Welt ….

Dem sensibilisierten Leser der „Philosophie der Freiheit“ – 

der vielleicht trotz deren intensiver Erarbeitung immer noch zu sehr in der Sinneswelt verhaftet ist – wie sollte es auch anders sein? – 

könnte allerdings auch hier mal wieder – 

neben vielen anderen solchen Stellen in der „Philosophie der Freiheit“ – 

dämmern, dass es vielleicht noch „anderes“ geben könnte als diese Sinneswelt, auf das Rudolf Steiner mit solchen freilassenden Ausführungen hinweist, die sehr zum eigenen Nachdenken anregen können.

 

Und es steht ja doch ganz klar dort, dass durchaus „anderes begriffen werden kann“ 

und sicherlich auch werden soll, dass aber vorher das Denken begriffen werden muss. Aber was mag dieses „Andere“ sein. In der „Philosophie der Freiheit“ ist davon nicht die Rede.

Dieser Satz, diese Wendung 

… wenn jemand Zweifel hegt, daß durch das Denken über die Welt etwas ausgemacht werden kann …

deutet also noch auf ein ganz anderes Erfassen der Welt hin, auf eine ganz andere „Weltanschauung“, auf eine ganz andere „Weltauffassung“, als man innerhalb des gewöhnlichen Bewusstseins verfährt. Denn innerhalb dieses gewöhnlichen Bewusstseins wird ja doch ganz klar durch das Denken über die Welt „etwas“ ausgemacht. Aber vielleicht ist das, was da durch das Denken ausgemacht werden kann, gar nicht so viel, also wirklich nur „etwas“, und vielleicht sogar ein Nichts, also völlig substanzlos – 

je nachdem, von welchem Gesichtspunkt und auf welcher Wahrnehmungsgrundlage aus man diese Welt betrachten, erfassen oder angehen will: von der Beobachtung der Sinneswelt oder von der Beobachtung des Denkens? – 

 

Aber Rudolf Steiner sagt hier natürlich nicht, 

dass über das Denken über die Welt nichts ausgemacht werden kann, sondern er sagt nur, dass er verstehen kann, wenn jemand Zweifel darüber hegt, ob durch das Denken über die Welt „etwas“ ausgemacht werden kann. Über die näheren Umstände dessen, was denn über die Welt durch das Denken ausgemacht werden kann und was nicht –

und welche Ausgestaltung das Denken dann neben der Ausgestaltung durch die „Philosophie der Freiheit“ noch erfahren muss –

darüber wird hier an dieser Stelle nicht gesprochen. Es wird nur darauf hingewiesen, dass es durchaus berechtigte Zweifel geben kann, durch „das Denken“ über die Welt etwas auszumachen. 

 

Was dann wirklich „über die Welt ausgemacht werden kann„, 

darüber sprach Rudolf Steiner dann später, indem er seine Anthroposophie der Welt mitteilte. Dafür muss das Denken aber etwas völlig Anderes werden als diese glorreiche Kraftlosigkeit, in der es sich an der Sinneswelt festklammernd an dieser entlanghangelt. Dafür legte Rudolf Steiner allerdings mit dem sinnlichkeitsfreien Denken seiner „Philosophie der Freiheit“ die Grundlage, die sehen, wahrnehmen, anschauen lehrt – 

nämlich erstmal Ideen – 

wo das gewöhnliche Bewusstsein nichts mehr sieht, sehen will, sehen kann. Danach sehen wir weiter.    

Das Denken ist daher der Ausgangspunkt, nicht der Endpunkt für die Betrachtung alles Weltgeschehens:

Es ist also zweifellos: in dem Denken halten wir das Weltgeschehen an einem Zipfel, wo wir dabei sein müssen, wenn etwas Zustandekommen soll. Und das ist doch gerade das, worauf es ankommt. Das ist gerade der Grund, warum mir die Dinge so rätselhaft gegenüberstehen: daß ich an ihrem Zustandekommen so unbeteiligt bin. Ich finde sie einfach vor; beim Denken aber weiß ich, wie es gemacht wird. Daher gibt es keinen ursprünglicheren Ausgangspunkt für das Betrachten alles Weltgeschehens als das Denken. (GA 4 S. 49) 

Das Denken ist also der Ausgangspunkt für all die anderen Schichten des Weltgeschehens, für all die Schichten der Wirklichkeit, die es neben den durch das Denken durchdrungenen Sinnesoffenbarungen – 

also innerhalb des gewöhnlichen Bewusstseins –

noch gibt: und die heißen dann als übersinnliche Erkenntnisstufen: Imagination, Inspiration und Intuition. 

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Zweifel darüber, „dass durch das Denken über die Welt etwas ausgemacht werden kann“ wurde am 03.06.2023 unter Anthroposophie veröffentlicht.

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