Schopenhauer, ein „borniertes Genie“

von Ingo Hagel

In seiner „Philosophie der Freiheit“ zitiert Rudolf Steiner gut über eine Seite lang den Philosophen Schopenhauer. Das muss schon etwas sehr Besonderes sein, dass diesem so viel Platz hier eingeräumt wird.– 

Es gibt in der „Philosophie der Freiheit“ nur noch das Zitat von Spinoza (GA 4 S. 18), das dasjenige Schopenhauers übertrifft und weit über eine Seite geht. –

Und das ist es auch in der Tat. 

 

Schopenhauer hat diese große Bedeutung des Willens eigentlich richtig erkannt, 

wenn er nur statt der sinnlichen Beobachtung des Leibes die übersinnliche Beobachtung des Denkens gesetzt hätte: Bei einem Willen – 

den Schopenhauer in der Bewegung des Leibes sieht – 

ohne dass etwas passiert, ohne dass der Wille eine Konsequenz hat – 

eben für Schopenhauer die Bewegung des Leibes – 

kann man nicht davon sprechen, dass es sich wirklich um Willen handelt, sondern dann handelt es sich nur um einen Wunsch. Beim Willen passiert immer etwas. 

  

Schopenhauer will das Ding an sich über den Willen sinnlich wahrnehmen, 

anstatt ihn in das Denken hineinschießen zu lassen, so dass das Denken Wahrnehmung wird. Aber das ist es eben: das Denken, das dann aber genauso gut reiner Wille genannt werden kann – 

Es ist nämlich dieses mit Recht «reines Denken» genannte Denken reiner Wille geworden; es ist durch und durch Wollen. – 

muss wahrgenommen werden. Schopenhauer war auf dem richtigen Weg, indem er die Bedeutung des Willens erkannte – aber er scheiterte grandios. Deswegen nannte ihn Rudolf Steiner ein Genie, aber ein „borniertes Genie“. Das ist vielleicht auch der Grund, warum Rudolf Steiner dieses „bornierte Genie“ in seiner „Philosophie der Freiheit“ so ausführlich bespricht. 

 

Denn wenn man alles das, was Schopenhauer da zu dem Willen sagt, überträgt auf das Denken, 

dann wäre das schon genial richtig gewesen. Aber so ist es eben borniert falsch.

Also wenn Schopenhauer schreibt:  

Jeder wahre Akt seines Willens ist sofort und unausbleiblich auch eine Bewegung seines Leibes: er kann den Akt nicht wirklich wollen, ohne zugleich wahrzunehmen, daß er als Bewegung des Leibes erscheint. Der Willensakt und die Aktion des Leibes sind nicht zwei objektiv erkannte verschiedene Zustände, die das Band der Kausalität verknüpft, stehen nicht im Verhältnis der Ursache und Wirkung; sondern sie sind eines und dasselbe, nur auf zwei gänzlich verschiedene Weisen gegeben: einmal ganz unmittelbar und einmal in der Anschauung für den Verstand.

dann müsste man es nur so übersetzen, damit es stimmt, und damit es mit dem im Zusatz zum dritten Kapitel der „Philosophie der Freiheit“ Gesagten übereinstimmt:

Jeder wahre Akt seines Willens ist sofort und unausbleiblich auch eine Bewegung seines Denkens: er kann den Akt nicht wirklich wollen, ohne zugleich wahrzunehmen, daß er als Bewegung des Denkens erscheint. Der Willensakt und die Aktion des Denkens sind nicht zwei objektiv erkannte verschiedene Zustände, die das Band der Kausalität verknüpft, stehen nicht im Verhältnis der Ursache und Wirkung; sondern sie sind eines und dasselbe, nur auf zwei gänzlich verschiedene Weisen gegeben: einmal ganz unmittelbar und einmal in der Anschauung des reinen Denkens für die Vernunft.

 

Warum nur führt Rudolf Steiner das in seiner „Philosophie der Freiheit“ nicht weiter aus, 

sondern überlässt es dem denkenden Leser, die Sache selber zu entdecken? Rudolf Steiner musste damals 1894 im Jahre der Veröffentlichung seiner „Philosophie der Freiheit“ warten, ob es Menschen gibt, die das entdecken. Denn wenn das, was da beschrieben wird, ausgeführt wird, dann haben wir nicht nur das reine Denken, dann haben wir nicht nur die Beobachtung des Denkens, sondern dann haben wir auch das reine Denken als Meditation. –

Das reine Denken ist die Meditation.   

Nun ist schon eine Meditation, überhaupt ein reines Denken, ein wirklich reines Denken, nicht möglich, ohne den Willen weiterzubilden. Dieses reine Denken als Tatbestand am Menschen ist ja nicht anders möglich als durch eine besonders intensive Anstrengung, eine besonders intensive Betätigung des Willens. Alles dasjenige aber, was man betätigt, übt man, bildet man aus. Und es ist eine ganz besondere Ausbildung des Willens, wenn man zum reinen Denken übergeht oder aus dem reinen Denken heraus in die Meditation übergeht. 

– Siehe dazu hier und hier. –

Denn die „Philosophie der Freiheit“ ist letztlich ein okkultes Schulungsbuch. 

 

Wenn der Mensch dieses in diesem Buch beschriebene intuitive Denken erreicht, 

dieses Denken, das gleichzeitig Wahrnehmung, also Anschauung ist, indem der Wille den Gedankeninhalt hervorbringt, dann hat der Mensch bereits die ersten Schritte zu einem realen Betreten einer übersinnlichen geistigen Welt gemacht:

Siehe Rudolf Steiner im 2. Zusatz zum Kapitel „Die Konsequenzen des Monismus“ zur Neuausgabe seiner „Philosophie der Freiheit“ im Jahre 1918 (S. 256):

Die geistige Wahrnehmungswelt kann dem Menschen, sobald er sie erlebt, nichts Fremdes sein, weil er im intuitiven Denken schon ein Erlebnis hat, das rein geistigen Charakter trägt. Von einer solchen geistigen Wahrnehmungswelt sprechen eine Anzahl der von mir nach diesem Buche veröffentlichten Schriften. Diese «Philosophie der Freiheit» ist die philosophische Grundlegung für diese späteren Schriften. Denn in diesem Buche wird versucht, zu zeigen, daß richtig verstandenes Denk-Erleben schon Geist-Erleben ist. Deshalb scheint es dem Verfasser, daß derjenige nicht vor dem Betreten der geistigen Wahrnehmungswelt haltmachen wird, der in vollem Ernste den Gesichtspunkt des Verfassers dieser «Philosophie der Freiheit» einnehmen kann.

Dies sowie die eigentlichen Konsequenzen einer redigierten (s.o.) schopenhauerschen Auffassung von einer Anschauung des Willens durfte er den Menschen damals im Jahre 1894 natürlich nicht direkt zumuten oder empfehlen. Dazu mussten erst die erkenntnistheoretischen Voraussetzungen geschaffen werden. Und es musste abgewartet werden, was die Welt – also die Leser – dazu sagen würden. Später im Jahre 1918 zur Neuherausgabe seiner „Philosophie der Freiheit“ war die Anthroposophie in der Welt und Rudolf Steiner konnte auf die Beziehung zwischen beiden offen eingehen. 

     

  

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